Nach dem Tod von Bischof Anselmo Müller im März 2011 wurde schnell klar, dass unserem Verein tiefgreifende Veränderungen bevorstehen. Auch noch nach seinem Eintritt in den Ruhestand im Januar 2009 wurde fast jede Aktivität in Brasilien mit seinem Rat und seiner Hilfe abgewickelt.
Wie sollte es weitergehen? Sicher war nur, dass wir unsere beiden Kernprojekte, die Kindertagesstätte Servir und die Säuglingsrettungsstation weiter unterstützen werden. Die beiden genannten Projekte waren aber auf die Jahre gesehen nur ein kleiner Teil unserer Tätigkeitsfelder. Jedes Jahr hatte der umtriebige Bischof in seiner Diözese mit unserer Hilfe neue soziale Projekte in Angriff genommen. Diese Kapazitäten waren nun frei und so entschieden wir, ein neues Partnerschaftsprojekt zu suchen.
Wesentliche Kriterien dabei sollten sein, dass es sich um eine kleinere Schule im Aufbau oder der Erweiterung in einem Armenviertel handelt und dass die Schüler in einer der Sprachen unterrichtet werden, in der unsere Schüler auch mit ihnen z.B. über das Internet kommunizieren können. Wir hoffen auf diese Weise, den Partnerschafts-Gedanken zu beleben. Auch eine Reisemöglichkeit für Schülergruppen sollte es weiterhin geben, das bedeutet, dass das Projekt in einem Land liegen sollte, das zu den politisch stabilen zählt und wo die Gefahr an Leib und Leben für unsere Schülerinnen und Schüler möglichst gering ist. Nach längerer intensiver Suche, auch mit Hilfe mehrerer Orden und dem Hilfswerk Misereor wurden wir fündig. Doch letzte Gewissheit sollte ein Besuch vor Ort schaffen.
Besuch in Kenia
Im Mai 2012 besuchte eine vierköpfige Delegation des Servir e.V. das in Frage kommende Projekt, ein Ausbildungszentrum der Salesianer in Makuyu in Kenia. Wir waren beeindruckt von der Dimension und der Führung des Ausbildungszentrums. In einer sehr armen, relativ dünn besiedelten Gegend, deren Bevölkerung kaum Bildungschancen hat, plötzlich ein Bildungszentrum für schulischen Unterricht vom Kindergarten über das erste Schuljahr bis hin zum Abitur. Die Schulen sind zwar privat aber alle Abschlüsse enden mit einer staatlichen Prüfung. Eine gut ausgerüstete Berufsschule im gleichen Komplex rundet das Angebot ab. Berufe wie Drucker, Klempner, Schweißer, Schreiner, Maurer, Automechaniker, Elektriker werden dort für die Jungen angeboten, für die Mädchen das Friseurhandwerk und die Schneiderei. Das Ganze ist wie ein gelebter Traum, denn Bildung ist die einzige Chance für die Jugend, aus dem Teufelskreis des Elends herauszukommen.
Wir besuchten die Klassen der Grundschule und waren erstaunt, wie hoch die Motivation und Disziplin der Kinder ist. Das gleiche gilt auch für die anderen Schulformen. Bei der Berufsschule entdeckten wir subtile Formen eines dualen Lernens. Was die Berufsschüler für ihren Beruf lernen, können sie gleich bei der Fertigung von Produkten anwenden, die für das Projekt gebraucht werden oder die durch ihre Veräußerung dem Unterhalt des Schulkomplexes dienen. Dazu gehören vor allem Fensterrahmen aus Eisen, Bestuhlungen von Kirchen, Druckerzeugnisse, Schuluniformen usw.
Die drei Patres in der Niederlassung betreuen im Rahmen ihrer Pfarrei 16 kleine Gemeinden. Jede von ihnen hat eine kleine Kapellenkirche. Richtige Messen erleben die Gemeindemitglieder nur alle paar Wochen, denn von der eigenen Laienpastoral dürfen nur Wortgottesdienste gehalten werden. Auch die Betreuung eines Gefängnisses gehört zu den Aufgaben der Patres. Sie besuchen die Einrichtung alle 14 Tage und bringen kleine Geschenke mit. In der Regel eine Flasche Limonade und Kekse für jeden, das Dienstpersonal inbegriffen.
Schnell wurde klar, dass die vorgefundene, inzwischen fast 30 Jahre alte, Einrichtung eigentlich alle Eigenschaften besitzt, die wir uns vorgestellt haben und das in Fülle. Hier Unterstützung zu leisten, wäre wenig notwendig. Doch schon im Vorfeld wurde abgeklärt, dass unsere eigentliche Aufgabe der Aufbau eines Gesundheitszentrums und einer Grundschule im etwa sieben Kilometer entfernten Pundamilia sein würde. Der neue Komplex, noch unter der Federführung der Salesianer, soll nach seiner schrittweisen Fertigstellung ein Schwesternhaus, die Krankenstation und eine Grundschule mit den Klassen 1 bis 8 beinhalten.
Die Leitung der Einrichtung übernehmen Schwestern des Ordens „Schwestern von der unbefleckten Empfängnis”, deren afrikanisches Mutterhaus in Tansania liegt. Auch in Deutschland ist der Orden vertreten.
Zwei Schwestern, eine Krankenschwester und eine Lehrerin sind bereits seit Mai 2012 zu Gast in der Niederlassung der Salesianer in Makuyu, um das Projekt vorzubereiten. Ihr Einsatz ist bemerkenswert. Fast tagtäglich laufen sie zwölf Kilometer auf steinigen Wegen durch das Gelände, um die Bewohner der verstreut liegenden Hütten aufzusuchen und mit ihnen über ihre Pläne zu sprechen. Viele leben im Elend und haben kein Geld, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Im Krankheitsfall sind sie auf die Hilfe von örtlichen Wunderheilern angewiesen. Umso erfreuter sind sie, zu erfahren, dass eine Krankenstation eingerichtet wird, bei der eine dringend notwendige Behandlung nicht am Geld scheitern wird.
Die Ansprechpartner der beiden Schwestern sind zwar in der Regel Katholiken, aber genauso selbstverständlich stehen auf ihrer Liste auch Besuche bei Andersgläubigen. Immerhin sind etwa 10% der Bewohner Angehörige islamischer Glaubensrichtungen. Etwa 20% gehören lokalen Naturreligionen an. „Jeden, der sich mit uns unterhalten will, den suchen wir auf, denn die Kontakte über Religionen hinweg sind gerade hier sehr wichtig”, sagt Schwester Delora. Bei diesen Hausbesuchen ist Zuhören ein wichtiger Teil der Gespräche. Nur wenn man sich für die Sorgen und Nöte der in der Regel mittellosen Familien interessiert, baut sich das Vertrauen auf, das für eine erfolgreiche Zusammenarbeit notwendig ist.
Zwar gibt es eine staatliche Grundschule in Pundamilia, aber ihr Ruf ist so schlecht, dass viele Eltern sie meiden. Stattdessen schicken sie ihre Kinder schon im Alter von sechs Jahren jeden Tag auf den sieben Kilometer langen Weg in das Ausbildungszentrum Don Bosco.