Servir-Info 2005

Der Servir e.V. informiert

 20 Jahre Servir- Ein Blick zurück bis heute
 Brasilienfahrt 2005
 Manga - Besuch in der neuen Kindertagesstätte
 Obst an Maria Königin, oder: Äpfel essen für Servir


20 Jahre Servir- Ein Blick zurück bis heute

"Sein Name war Jesus - So hieß die Überschrift eines Zeitungsartikels, den ich vor etwa 2 Jahren vor mir liegen hatte. Jesus war ein 14 jähriger Junge. Er riss in einem ärmlichen Viertel von Sao Paulo einer reichen Frau die Handtasche weg und versuchte fortzulaufen. Passanten, die dies beobachtet hatten, nahmen die Verfolgung auf. Ein Oberstaatsanwalt, offenbar gerade auf dem Weg zur Arbeit, stellte sich dem Jungen in den Weg, ergriff ihn, schlug auf ihn ein, warf ihn zu Boden, trat ihn einmal, trat ihn noch einmal, trat ihn immer wieder, tötete ihn.

Jesus starb, starb weil er als ältestes von 5 Kindern die Familie ernähren musste. Sein Vater ging irgendwann Arbeit suchen und kehrte nie mehr zurück. Die Arbeitskraft der Mutter, mit vielerlei Tätigkeiten in den Häusern der Reichen, reichte für den Unterhalt der Familie nicht aus. Jesus starb, weil er das tat, was er tun musste, weil er das tat, was sicherlich viele von uns in seiner Situation getan hätten.

Das ist Alltag in Brasilien und nicht nur dort. Und während wir hier feiern, sterben irgendwo auf dieser Welt Menschen. Sie sterben, weil sie nichts zu essen haben; sterben, weil sie wie Jesus in ihrem täglichen Überlebenskampf mit dem, was man als Recht bezeichnet, in Konflikt geraten.

In diese Situation hinein, in Kenntnis und vor allen Dingen in der täglichen Erfahrung der Armut und des Elends dieser Menschen planten Missionare der heiligen Familie in Zusammenarbeit mit anderen Organisationen das Projekt Servir. Servir ist eine Einrichtung in Januária, Brasilien, für die Kinder derjenigen, die am Rande der Gesellschaft leben. Inzwischen ist ein Haus gebaut, in dem diese Kinder ihre tägliche Nahrung erhalten und von freiwilligen Helfern betreut werden. Viele dieser Kinder mussten wie Jesus erleben, dass der Vater von der Suche nach Arbeit nie wieder heimgekehrt ist.

Ein Anfang ist also gemacht; aber das reicht nicht. Es reicht nicht die Kinder zu ernähren. Sie werden älter und müssen irgendwann das Heim verlassen. Sie werden wahrscheinlich das Schicksal von Jesus teilen, wenn sie bis dahin keinen Beruf erlernt haben. Ein Beruf, ein Handwerk, ist die einzige Chance, der Armut zu entrinnen. In diesem Wissen plant man, Servir um eine kleine Berufsschule zu erweitern. Bischof Anselmo Müller, ein Mitglied des Ordens, bittet uns um unsere tatkräftige Unterstützung. Wir haben seine Bitte dankbar aufgenommen, denn durch dieses Projekt haben wir die Chance, echte Entwicklungshilfe zu leisten."

Dieser Ausschnitt aus einer Rede anlässlich des Weihnachtskonzerts 1985 an Maria Königin erinnert daran, dass Servir nunmehr 20 Jahre an unserer Schule besteht.

Der Text lädt dazu ein, Bilanz zu ziehen. Zwei Fragen stellen sich aus dem Text heraus: Hat sich etwas geändert an der Situation der "Straßenkinder"? Wie haben wir unsere Chance, Entwicklungshilfe zu leisten, genutzt und was haben wir bewirkt?

Zur ersten Frage: Natürlich gehen 20 Jahre auch an einem Land wie Brasilien nicht spurlos vorbei. Doch die Schere zwischen arm und reich ist größer geworden, die Gewalt der Straße, wie wir bei unserer letzten Fahrt selbst erfahren mussten, hat deutlich zugenommen. Die Jugendgefängnisse sind in der Regel mehrfach belegt, die sozialen und hygienischen Verhältnisse dort desolat.

Zur zweiten Frage: Servir wurde sehr schnell zu einem nach außen strahlenden Markenzeichen unserer Schule. Kaum jemand hätte geahnt, dass sich dieses Projekt so fest in der Schulgemeinschaft etablieren würde.

Zunächst als AK Servir, ab 1999 als Servir e.V. ist eine Gruppe von Lehrern, vor allem aber auch immer wieder im Projekt engagierten Schülern, damit befasst,

Was zunächst sehr theoretisch klingt, wird sehr konkret, wenn man sich an die Veranstaltungen mit dem Buchautor und Filmemacher Siegfried Pater erinnert, an die Masithi Singers aus Afrika, den Aids-Truck von Misereor und vieles mehr. Nicht vergessen werden sollten in diesem Zusammenhang auch die vielen Besuche von Bischof Anselmo Müller, bei denen er uns immer wieder ganz nah an die Probleme führte, die er zu schultern hat.

Eine besonders Form der Bewusstseinsbildung konnten natürlich diejenigen Schüler erleben, die das Glück hatten, nach Brasilien fahren zu dürfen. Viermal waren Gruppen für mehrere Wochen in Brasilien. In der Kindertagesstätte Servir, im Pequeno Davi und anderen Projekten traten diejenigen Kinder, für die sie zuvor jahrelang Kerzen gedrückt oder Aluminium sortiert hatten, aus ihrer Anonymität: unvergessliche und prägende Momente für alle Beteiligten.

Eine Beschreibung aller Projekte, die Bischof Anselmo Müller in den 20 Jahren in seiner Diözese mit unserer Hilfe unterstützt hat, würde den Rahmen dieses Heftes sprengen, hier sei auf unsere Homepage verwiesen.

Die finanzielle Unterstützung für die Projekte des Bischofs Anselmo Müller war sicherlich in all den Jahren unser Hauptanliegen. Nach einem noch zögerlichen Start im Gründungsjahr entwickelte sich die finanzielle Lage des damaligen AK Servir rasch sehr positiv. Durchschnittlich konnten so jedes Jahr über 20.000 Euro nach Januária überwiesen werden. Eine detaillierte Übersicht zeigt die folgende Grafik.

Bild 1 Bild vergrößern Jährliche Überweisungen nach Januária

Die zweite Grafik zeigt zwar deutlich, dass der Hauptteil der Einnahmen Spenden sind, dennoch erstaunt, wie durch vielfältigen und engagierten Einsatz der Schülerinnen und Schüler bei Aktionen wie dem Talente-Wucher, Wandertagen, Alu-Sortieren Summen zusammen gekommen sind, von denen wir im Dezember 1985 nicht zu träumen wagten.

Unter Spenden eingeordnet sind auch die Aktivitäten der Würdinghauser Missionsgruppe, die uns fast die gesamte Zeit unterstützt haben. Ihr unermüdliches Schaffen hat in dieser Zeit immerhin 22.000 Euro buchstäblich gestrickhäkelt. Auch der Verein der Förderer der Förderer des Servir Projekts, kurz VdFdFdSP, hat mit über 16.000 Euro (ebenfalls unter Spenden aufgeführt) nicht unwesentlich zum Erfolg beigetragen.

Bis zum Oktober 2005 wurden etwa 460.000 Euro nach Januária überwiesen. Ein Dank von dieser Stelle aus allen Spendern, insbesondere den Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Maria Königin. Dank auch an den Dritte-Welt-Arbeitskreis Welschen-Ennest-Rahrbach, der uns wie die Würdinghauser Gruppe fast die ganze Zeit auf dem Weg begleitet hat und der in dieser Zeit immerhin ca. 60.000 Euro separat von uns nach Januária überwiesen hat.

Bild 2 Bild vergrößern Synopse der Erträge des Servir e.V.


Brasilienfahrt 2005

Ein großer Teil dieses Jahres stand ganz im Zeichen der vierten Brasilienfahrt von Schülerinnen und Schülern unter Leitung von Herrn Liesmann. Nach einem Jahr intensiver Vorbereitung hob die Gruppe endlich am 22. Juni um 22:00 Uhr vom Frankfurter Flughafen ab. Für viele war es der erste Flug, die erste große Reise. Nach kurzem Zwischenstopp in Rio landeten wir pünktlich um 10:00 Uhr Ortszeit in Belo Horizonte. Pater Mettler, der uns programmgemäß in Empfang nahm, war ziemlich nervös, denn der Bus der "Transnorte", der uns nach Januaria bringen sollte, war nicht da. Der Hinweis des Gruppenleiters, dass dort am Bürgersteig doch ein Bus mit der Aufschrift "Transporte" (mit p) steht und dass vielleicht dieser Bus es sein könnte, wurde von P. Mettler glatt abgelehnt. Hellwach wurde die Gruppe trotz des langen Fluges, denn eine Übernachtung in Stehen auf dem Flughafengelände rückte in greifbare Nähe. Irgendwann, eine Stunde später, rückt der Fahrer des "Tansporte" Busses auf uns zu und fragt "Vocês são os jovens alemãoes que querem ir para Januária?" Er hatte uns die ganze Zeit beobachtet und er war es, der uns nach Januária bringen sollte.

Das sollte aber auch die einzige richtige Panne bleiben, zumindest für die ersten drei Wochen in Januária. Nach vier Tagen Eingewöhnung in der vom Fest des Heiligen Johannes gezeichneten Stadt ging es in die Projekte. Jungens und Mädels getrennt, wie es sich für Brasilien gehört.

Die Schülerinnen blieben in Januária und halfen vormittags in der Kindertagesstätte Servir. Schnell erkannten sie, dass die Kinder vor allem eines brauchen: Zuneigung - und gerne waren sie bereit, diese zu geben. Die Betreuer vom Servir nutzten die Gelegenheit, so ein wenig der für sie alltäglichen Arbeit an den Besuch aus Deutschland abzutreten, sei es Arbeit in der Küche, Beaufsichtigung der Kleinen u.s.w.. Janina, Lisa, Petra und Sophia nahmen die Herausforderung trotz nicht wegzuleugnender sprachlicher Probleme an, nutzten ihre Freiräume kreativ und spielten und sangen und arbeiteten viel mit den Kindern zusammen.

Bild 3 Bild vergrößern Kein Problem mit den Kindern vom Pequeno Davi

Nach einer ausführlichen Siesta, die stets eingeleitet wurde von einem selbst für deutsche Verhältnisse üppigen Mahl von der "4-Sterne-Köchin" Nair, der Haushälterin des Bischofs, ging es für zwei Stunden in den Pequeno Davi, der Säuglings- und Kleinkinder-Rettungsstation der "Schwestern von der Göttlichen Vorsehung". Bewundernswert, was sie dort drei Wochen lang leisteten! Während die Herren der Schöpfung schon nach zwei Stunden Eindrücke sammeln fast buchstäblich das Hasenpanier ergriffen, verloren die Mädchen ihre gute Laune nicht einmal dann, wenn ihnen so ein kleiner Strops in verschiedenen Aggregatzuständen das auf der Kleidung ablegte, was er gerade gegessen hatte.

Es entging ihnen nicht, wie krank viele von ihnen waren. Zum ersten mal in ihrem Leben begegneten sie Kleinkindern mit schweren Atemproblemen, Kindern mit Ekzemen an Armen und Beinen, Anämie und andere Krankheiten. Der Gestank von Kot, Urin, mangelnde Hygiene, Läuse und andere Widrigkeiten in dieser ständig an der Grenze der Belastung funktionierenden Einrichtung, all das focht unsere tapferen Sauerländerinnen schon nach kurzer Zeit nicht mehr an; beherzt griffen sie zu, wickelten, reinigten, fütterten und versuchten ihr Menschenmögliches, den Kindern das Gefühl von Geborgenheit zu geben. - Hut ab.

Dagegen hatten die Jungs das große Los gezogen. Schon die vierstündige Bootsfahrt hin zum Ort des Arbeitseinsatzes hatte etwas von Abenteuer. Gefangen zwischen halbverrotteten Holzbrettern, wartete die Gruppe nur darauf, dass das lebenserhaltende kleine Plastikeimerchen dem ständig schöpfenden Begleiter aus der Hand gleiten und so das Boot langsam voll Wasser laufen würde. Aber das Ungemach kam von anderer Seite: Vor den Augen aller Gruppenmitglieder geriet einer der beiden Bootsbegleiter mit einem Hosenbein in die schnell rotierende offen liegende Antriebswelle direkt am Schwungrad des Dieselmotors. Ein dumpfer Schlag, der Motor war aus und das Bein des Brasilianers bis auf das Fußgelenk aufgerissen. Doch Glück im Unglück, es hätte auch das ganze Bein zerfetzt werden können. So aber konnte unser 12er Schüler Schaui, der als Rettungsschwimmer einen entsprechenden Rettungskurs gemacht hatte, erfolgreich erste Hilfe leisten. Das schaffte ihm in der Gemeinde großen Respekt und er wurde fortan nur noch "o dottore", der Doktor, genannt.

Der Arbeitseinsatz in den nächsten 14 Tagen gestaltete sich in immer gleichen Abläufen. Die eigentliche Arbeitszeit dauerte von 8:30 Uhr bis 12:00 Uhr und von 14:00 bis 17:00 Uhr.

Bild 4 Bild vergrößern Gruppenfoto mit neu gebautem Tor in Quebra Guiada

In dieser Zeit galt es den zwei Maurern, die ein Gemeinschaftshaus für die Bewohner von Quebra Guiada mauern sollten, Zubringerdienste zu leisten. So waren die Schüler in den ersten Tagen damit beschäftigt, große Löcher für die Säulen der Fundamente auszuheben. Später karrten sie Tonnen von Ziegelsteinen, Sand und Kies über eine Entfernung von über hundert Metern mit einfachen Schubkarren an die Baustelle und das alles bei für uns hochsommerlichen Temperaturen.

Nach dem Abendessen traf man sich in der Regel mit den Dorfbewohnern unter dem einmalig schönen südlichen Sternenhimmel beim Lagerfeuer und tauschte sich mit Hilfe eines Wörterbuches und Gebärdensprache aus. Schnell entstand ein vertrauensvolles Miteinander. Die Gruppe zeigte den Bewohnern, wie man Kartoffeln in der offenen Glut gart und diese, wie man frische Maiskolben auf gleiche Weise zubereitet. Ein winziges Schlückchen Wein dazu, oder Eis ummanteltes Bier, und allzu leicht vergaß man, dass diese Situation die absolute Ausnahme für die Bewohner ist. Denn zumindest die Kartoffeln und die Getränke waren Teil der Gruppenverpflegung und kamen vom Bischof. Mit der Abreise würde das alles vorbei sein.

Der Kontakt der Schüler mit den Dorfbewohnern ihres Alters und auch den Kindern war überaus herzlich. So manche Träne floss dann auch bei den brasilianischen Mädchen am Tag des Abschieds, denn irgendwie hatte sich jede von ihnen - rein platonisch - in irgendeinen unserer Jungs verliebt.


Manga - Besuch in der neuen Kindertagesstätte

Im Servir Info 2004 berichteten wir zum ersten Mal vom Bau einer neuen Kindertagesstätte in Manga etwa 110 km von Januária entfernt. Die Kindersterblichkeit ist in den Randgebieten dieser Stadt durch Mangel an sauberem Wasser und Fehlernährung so groß, dass die Pastoral da Criança nach Rücksprache mit dem Bischof entschieden hat, eine weitere Kindertagesstätte einzurichten.

Bild 4 Bild vergrößern Tanzvorführung für die Gäste aus Deutschland

Die Pastoral da Criança ist eine landesweite kirchliche Organisation. Das Motto auf ihrem Logo lautet übersetzt: "Auf dass alle Kinder leben können" und beschreibt damit in kurzen Worten, was sie umtreibt. Die Pastoral da Criança hat mehrere Zweigstellen in den Städten der Diözese und ist Anlaufstelle für die mittellose Landbevölkerung, wenn immer es um soziale und gesundheitliche Probleme der Familien, insbesondere auch der Kinder geht.

Anfang dieses Jahres wurde die neue Kindertagestätte, an deren Finanzierung der Servir e.V. maßgeblich beteiligt war, im Wesentlichen fertig gestellt. Pater Wellington, der Koordinator des Projekts, hat uns aus Anlass unseres Besuchs in Brasilien zu einer Feier eingeladen. Das Spektakel war groß und ließ uns fast vergessen, dass es diese Einrichtung nur gibt, weil die Armut hier groß ist.

Besonders beeindruckt waren wir von einer an der Decke hängenden Balkenwaage. Mit dieser Waage wird in monatlichem Abstand das Gewicht aller Kleinkinder aus den Armenvierteln gemessen und penibel darüber Buch geführt. Das Gewicht der Kinder, vor allem seine Entwicklung, ist ein wichtiger Indikator - nicht nur für die Gesundheit des Kindes, sondern auch für die konkrete soziale Situation im Elternhaus. Wann immer die Waage Alarm schlägt, greifen die Schwestern und die freiwilligen Helfer der Pastoral da Criança ein.

Beeindruckend war auch nach den Vorführungen die nicht enden wollende Schlange von Kindern, die geduldig auf das Essen wartete, das Helfer am Ende der Veranstaltung auf einfachen Plastiktellern verteilten. Reis mit Bohnen gab es, kein Luxus zwar, aber immer noch besser als zu hungern.


Obst an Maria Königin, oder: Äpfel essen für Servir

Als Jubiläumsgeschenk für sich plant der Servir e.V. zusammen mit dem Fachbereich Biologie eine Obstwiese auf dem Gelände der Schule. Die vorbereitenden Maßnahmen haben begonnen und in wenigen Jahren wird das geerntete Obst nicht nur die Gesundheit unserer Schüler fördern, sondern auch die der Kinder in unseren Projekten. Das Pflanzen der Bäume im nächsten Jahr mit Hilfe der Schüler des Servir e.V. ist zugleich ein Signal in die Zukunft. Die Verantwortlichen glauben fest daran, dass Servir an unserer Schule eine Zukunft hat. Sie haben großes Vertrauen in unsere Schüler, die, wenn immer sie gefordert werden, bereit sind, sich einzusetzen. Dafür zum Abschluss des Berichts noch einmal ein ganz großes Danke an euch. Dank aber auch an alle, die im letzten Jahr durch Spenden geholfen haben, den Kindern in unseren Projekten ein Stück Menschenwürde zu geben.


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