Servir-Info 2000

Der Servir e.V. informiert

 Ein McChicken weniger die Woche
 Das hätte Lola sich nicht im Traum gedacht
 Rio hautnah
 Servir
 Pequeno Davi
 Quebra Guiada
 Nicht nur zugeschaut
 Zum Abschluss


Ein McChicken weniger die Woche,

am besten gar keines mehr, - so könnte das Fazit des Vortrags des Buchautors und Journalisten Siegfried Pater lauten. Im Mai dieses Jahres war er auf Einladung des Servir e.V. am Gymnasium Maria Königin und versuchte, in zwei engagierten Veranstaltungen die Schüler der Klassen 10 bis 12 ein wenig über die Zusammenhänge zu informieren, die man wissen sollte, wenn man eine der großen Fast Food-Ketten besucht.

"Kleine Kinder brauchen große Hilfe", so steht es in der McDonald’s Broschüre "Soziales Engagement 1999". Dass dieser "kinderfreundliche" Konzern die Plastikfiguren für seine weltweit vertriebenen Juniortüten von Vertragsfirmen in Asien bezieht, die Kinderarbeit unter unmenschlichen Bedingungen zulassen, das steht da nicht drin. Bis zu 16 Stunden täglich schuften Kinder unter unsäglichen Bedingungen und das für einen Hungerlohn von 24 Yuan pro Tag, etwa fünf Mark. Der größte Teil davon wird ihnen für schlechte Unterkunft und Ernährung wieder abgezogen. Siegfried Pater berichtete auch über die Abholzung von Tropenwäldern in Costa Rica, die großen Farmen für Fleischwolfrinder weichen mussten und über Soja aus Brasilien, das als Tierfutter für ihre Verwandten in Bayern dient. Das Land, das hier zur Gewinnoptimierung für einzelne Konzerne beansprucht wird, war der Lebensraum der Ureinwohner und kleiner Farmer, die ihre Familien in Subsistenzwirtschaft ernährten. Sie werden marginalisiert, an den Rand gedrängt. Die Beispiele zeigen, wie unsere Lebensgewohnheiten mit der Situation in der Dritten Welt zusammenhängen.


Das hätte Lola sich nicht im Traum gedacht,

dass unsere Schüler der Klassen 5-10 wirklich an ihre Grenzen gingen, als sie am 20. Juni in einem Staffellauf mit 210 Runden von jeweils 200 Metern den Weltrekord der Männer im Marathon um 15 Minuten, den der Frauen sogar um 18 Minuten unterboten. Doch das groß angelegte Ereignis war nicht nur in seinem sportlichen Ergebnis herausragend. Knappe zehn Wochen blieben, um das Projekt vom ersten Gedanken bis hin zu seiner Vollendung in den Stiel zu stoßen. Dabei entwickelte es - getragen von Schülern, Lehrern und der heimischen Presse - ein Eigenleben, das selbst die Initiatoren überraschte. Fast täglich konnte man den Fortgang der Ereignisse in der Presse verfolgen, eine Schlagzeile folgte der nächsten; www.servir.de war natürlich auch mit dabei. Fast täglich konnte man dort den aktuellen Stand der Wetten abrufen.

Bild 1 Einsatz war gefragt beim Marathon

Da konnte der finanzielle Erfolg für Servir nicht ausbleiben. 2.741 DM brachte allein die jetzige Klasse 6a als Spenden- und Wettgelder zusammen. Die höchste Firmenspende war 1.000 DM. Insgesamt kamen bis zum Tag des Marathons 10.747 DM an Spenden und 9.632 DM an Wettgeldern zusammen!


Rio hautnah

sollte eine Gruppe von drei Schülerinnen und fünf Schülern der Jahrgangsstufe 12 schon kurz darauf in Begleitung zweier ehemaliger Schüler und eines Lehrers kennen lernen. Bereits 33 Stunden nach der Preisverleihung im Marathon hob das Flugzeug vom Frankfurter Flughafen ab. Mit im Gepäck war der Gewinn der Veranstaltung sowie weitere 20.000 DM, die über das Jahr an Spenden eingegangen waren.

Nach zwei touristischen Tagen, zu deren Programm auch die Besichtigung des Corcovado und des Zuckerhuts gehörte, lernte die Gruppe am dritten Tag die anderen "Wahrzeichen" der Stadt kennen. In Begleitung von Pater Arnaldo ging es in die drei Favelas, die von den Missionaren von der Heiligen Familie betreut werden. Am beeindruckendsten davon war diejenige, die zur Gemeinde von Pater Arnaldo gehört. Sie ist die älteste und damit erste Favela Rios überhaupt. Über steile Treppen führte der Weg hinauf in ein Labyrinth aus einfachsten kleinen Ziegelhäusern und Gassen. Die Begleitung durch eine Kontaktperson aus der Favela, die stets darauf achtete, dass man nicht in die falschen Gassen schaute, ließ ahnen, dass dieser Besuch nicht ganz ungefährlich ist.

Bild 2 Lebensraum für eine Familie in einer Favela in Rio

Die Beklommenheit der Gruppe wich erst, als sie auf dem hoch gelegenen Kirchplatz Kinder unbefangen Fußball spielen sahen. Doch das Aufatmen hielt nicht lange an und wurde jäh gestoppt, als Pater Arnaldo erzählt, dass dort vor wenigen Jahren in einem Kampf zwischen der Drogen-Mafia und der Polizei 15 Menschen erschossen wurden. Erneut dieses Gefühl von ausgeliefert sein. Die unbeschreibliche Armut, der gleichzeitige Anblick des unermesslichen Reichtums einer Megacity, den ihre Bürotürme sichtbar in den Himmel schreien, das alles erleben die Einwohner dieser Favela Tag für Tag, das alles prägt sie. Hier - und das spürt jeder - liegt die Ursache für dieses Gefühl; das ist Rio - hautnah.


Servir,

bist Du es wirklich? So dachten zumindest all diejenigen, die es wenige Tage später zum zweiten Mal nach vier Jahren schafften, umringt von einer Traube Kindern, das Eingangsportal der Kindertagesstätte zu durchtunneln. Viel hat sich getan in der Zwischenzeit.

Die vom Servir e.V. finanzierte Bäckerei erzeugt etwa 3.000 Brötchen täglich; dazu Teigwaren aller Art, die nicht nur in dem kleinen Laden der Kindertagesstätte verkauft werden, sondern, zusammen mit anderen Lebensmitteln, auch in mehreren Außenstellen in der Stadt. Dank einer finanziellen Unterstützung durch das Lateinamerika Zentrum in Bonn laufen im Moment im Servir eine Reihe von Ausbildungskursen für 225 Jugendliche der Stadt. Das Angebot reicht von Informatik, Automechanik, Schneiderei bis hin zum Kunst- und Bäckerhandwerk.

Bild 3 Bäckerei im Servir

Trotzdem ist Schwester Diomar, die Leiterin der Kindertagesstätte, in großer Sorge. Zwar ist die Finanzierung der Unterrichtsmaterialien und der Lehrkräfte durch das Lateinamerika Zentrum zumindest noch für das nächste Jahr gesichert. Das Geld für die Ernährung und Betreuung der fast 300 "Straßenkinder", die Servir nach wie vor parallel zu den Ausbildungskursen betreut, fehlt. Die Bäckerei ist zwar eine kleine Hilfe zur Selbsthilfe, bedarfsdeckend ist sie jedoch nicht. So werden wir von Lennestadt aus auch weiterhin das Projekt unterstützen müssen.


Pequeno Davi,

der kleine David, von dem wir in den vergangenen Jahren schon häufiger berichteten, ist eine Rettungsstation für Säuglinge, die im September 1993 von Schwester Maria Luiza ins Leben gerufen wurde. Bei dem Besuch eines Friedhofs war ihr aufgefallen, dass dort auffällig viele Kleinkinder liegen. Hier muss etwas geschehen, sagte sie sich und ergriff die Initiative.

Der Blick in das Fotoalbum des Pequeno Davi macht schnell klar, welch großartige Leistung diese Einrichtung in den nur wenigen Jahren vollbracht hat. Die einfach gehaltene Mappe zeigt chronologisch auf jeder Seite zwei Fotos von einem Kind. Das erste Bild zeigt es in dem Zustand, wie es eingeliefert wurde, das andere wie es den Pequeno Davi nach mehreren Monaten verließ. Über 270 Fälle sind so dokumentiert, die ohne diese Hilfe nicht überlebt hätten.

Meistens werden die Kinder von einem Arzt in die Obhut der Schwestern überwiesen. Doch häufig erfolgt die Übernahme auch auf Initiative der Eltern oder nach Hausbesuchen, die die Schwestern tagtäglich auf dem Fahrrad in den Armenvierteln Januárias machen.

Rund um die Uhr arbeiten die Schwestern im Schichtdienst, um die Kleinen zu betreuen. Die betroffenen Mütter helfen dabei, denn ohne begleitende Maßnahmen im Elternhaus würde diese Hilfe wenig Sinn machen. So erfahren die Eltern parallel zur Behandlung ihrer Kinder viel über richtige Ernährung und Hygiene. Wo es durch das übergroße Elend notwendig ist, helfen die Schwestern auch nach der Entlassung des Kindes weiterhin mit Nahrungsmitteln aus. Die Nachbetreuung richtet sich nach Bedarf und kann durchaus über drei und mehr Jahre gehen.

Das Gebäude ist sehr beengt, darüber hinaus müssten dringend alle Wasserleitungen aus den Wänden gerissen werden. Deshalb hat man sich entschlossen mit Mitteln der Stadt, aber auch mit Hilfe des Servir e.V. ein neues Gebäude zu bauen. Inzwischen dürfte es fertig sein.


Quebra Guiada,

das kleine Fischerdorf am Rio São Francisco war kaum wieder zu erkennen. Auf den Fundamenten, die die Gruppe von Maria Königin 1995 in zwei Wochen gelegt hatten, thront inzwischen ein 8 mal 15 Meter großes Gemeinschaftsgebäude, das in der Regel als Kirche, im Bedarfsfalle aber auch für Veranstaltungen der Dorfgemeinschaft oder als Getreidespeicher benutzt wird.

Täglich wurde die Gruppe Zeuge, welchen Fortschritt der Servir e.V. der Gemeinde durch die Spende der zwei Getreidemühlen und vor allem die Bewässerungsanlagen gebracht hat. Alles doppelt, da die Gemeinschaft durch den Flussarm in zwei Teile getrennt ist. Während die meisten Bewohner am Ufer des Flusses wohnen, lebt der andere Teil auf der Insel im Fluss. Die Hungerbäuche der Kinder sind seltener geworden. Dank der künstlichen Bewässerung gibt es inzwischen eine kleine Bananenplantage. Die Zitronen- und Orangenbäume und auch andere Pflanzen erhalten täglich mit der Gießkanne das notwendige Nass.

Bild 4 Noch immer waschen uns spülen die Frauen am Fluss

Von Reichtum jedoch nach wie vor keine Spur, zu mühselig ist das Bearbeiten des ausgetrockneten Lehmbodens. Nach wie vor lebt die Gemeinschaft von den Renten der wenigen, die das Alter von 65 Jahren überschritten haben. Einigen wenigen ist es gelungen, in der Stadt oder in der am anderen Flussufer liegenden Bananenfarm Arbeit zu finden. Doch von den allenfalls 150 DM, die sie monatlich verdienen, müssen sie ihre Unterkunft bezahlen. An eine Heimkehr nach Feierabend ist nicht zu denken, zu unwegig das Gelände, zu hoch die Fahrkosten für den Bus, der - zumindest in der Trockenzeit - einmal täglich auf einem Feldweg nach Januaria holpert und zurück.

Zum Abschluß ihres Besuchs schenkte die Gruppe der Gemeinschaft im Namen des Servir e.V. das Material zur Anlage eines Gartens. Bisher fehlte das Geld für die notwendigen Wasserschläuche, ein paar Verzweigungshähne und vor allem einen schützenden Zaun. Ungeschützt haben die Samen vor dem überall herumlaufenden Federvieh keine Chance. Auch der Wunsch des Bürgermeisters nach einem Motorboot für die Dorfgemeinschaft ging mit Hilfe des Servir e.V. in Erfüllung. Nun kann sie endlich ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse auf dem Markt in Januária anbieten und im Notfall Schwerkranke in die Stadt transportieren.


Nicht nur zugeschaut

hat die Gruppe während ihres dreiwöchigen Aufenthaltes in Januária und Quebra Guiada. Das war die Voraussetzung für die großzügige finanzielle Unterstützung durch die "Aktion konkreter Friedensdienst", ohne die die Fahrt nicht finanzierbar gewesen wäre.

Die drei Mädchen machten sich täglich sechs Stunden im Servir und Pequeno Davi nützlich. Schwester Diomar freute sich über die Hilfe aus Deutschland und setzte sie ein, wo immer Bedarf war; sei es beim Kochen, bei der Essensausgabe oder auch "nur" bei der Betreuung der Kleinkinder. Trotzdem blieb viel Zeit, um mit den Kleinen zu spielen und zu malen.

Die Jungen halfen in Quebra Guiada beim Bau eines "Sanitärhauses", ein 2 mal 8 Meter großes Gebäude, in dem die Dorfbewohner in Zukunft ihre Wäsche waschen und ihr Geschirr spülen können. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Frauen mehrmals täglich alles verunreinigte Material über 200 Meter in großen Aluminiumschüsseln auf dem Kopf an den Fluß tragen mußten. Neben dem Waschbecken wurden im gleichen Bauwerk auch zwei Duschen und zwei Toiletten installiert. Ein großer Fortschritt, nicht nur für die alten Leute.


Zum Abschluss

Das Jahr 2000 war für den Servir e.V. ein erfolgreiches Jahr. Zusammen mit den 40.000 DM, die wir dem Bischof überreichen konnten sind seit einer Spardosen-Aktion im Dezember 1985 über 635.000 DM nach Brasilien gegangen. Wie viel mit diesem Geld bewegt wurde, davon konnte sich die Gruppe, die dieses Jahr in Brasilien war, ein Bild machen. Sie wird voraussichtlich im Februar des nächsten Jahres in Video, Bild und Ton über ihre Erlebnisse berichten.

Bleibt uns nur noch, allen großen und kleinen Spendern zu danken. Wir danken wie immer auch denen, die durch das Sammeln und Sortieren von Aluminium, durch das Stricken von Socken und sonstige Aktivitäten zum Erfolg beigetragen haben. Natürlich dürfen an dieser Stelle auch diejenigen nicht vergessen werden, die sich im Rahmen des Marathon eingesetzt haben. Allen ein herzliches Dankeschön!


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