Servir-Info 1997

Informationen der Arbeitsgruppe SERVIR


Liebe Freunde und Förderer des AK Servir,

es war schon dunkel, als wir uns in Rio auf den Weg zurück von der Copa Cabana zu unserer Unterkunft machten. Während wir am Drehkreuz des Schaffners im Bus brav unsere bereits abgezählten "Groschen" bezahlten, schlüpften einige Straßenkinder unter der Sperre durch. Einige drängten sich gleich zur hintersten Bank, noch vor dem Drehkreuz, nur um nicht bezahlen zu müssen. Schwarzfahren ist zumindest für Straßenkinder geduldet, meinte unsere Begleiterin, die ebenfalls wie diese aus einer Favela stammte. Wovon sollen diese Kinder auch das Fahrgeld aufbringen, wenn sie nach einem harten Überlebenstag an den Pulsadern der Stadt zurück in ihre ärmlichen Hütten drängen.

Doch nicht jeder Busschaffner reagiert so verständnisvoll. An einem Nachmittag im Februar dieses Jahres sollte alles anders laufen. Wieder einmal drücken sich Straßenkinder vor dem Zahlen. Gut gelaunt lärmen sie auf den hintersten Bänken, singen Karnevalslieder und trommeln Disco Rhythmen. Der Kassierer bittet sie vergeblich um mehr Ruhe. Als es ihm zu bunt wird, fordert er das begleitende Sicherheitspersonal auf, einzugreifen. Der Bus hält an, die 6 Jugendlichen werden mit vorgehaltener Pistole gezwungen, sich vor dem Bus hinzuknien. Was dann passierte, dauerte nur eine Minute. Ein Jugendlicher überlebte die Schüsse noch eine halbe Stunde. Er hätte vielleicht gerettet werden können, doch aus Angst vor den Killern wagte niemand zu helfen.

Wer glaubte, daß nach dem Massaker an Straßenkindern vor der Candelaria Kirche in Rio, das 1993 die Welt aufschreckte, die Situation sich gebessert habe, wird durch die Statistik enttäuscht. Die Zahl der jährlichen Morde an Straßenkindern ist deutlich angestiegen.


Um so erfreulicher sind die Nachrichten, die uns aus Januaria erreichen. Die Bäckerei, die nach unserem Besuch 1995 im Servir gebaut wurde, hat ihren Betrieb voll aufgenommen. Nicht nur die Kinder von Servir sind die Nutznießer; täglich fährt ein Kleinbus durch die Stadt und beliefert einige Kinderkrippen mit frischen Brötchen. Im Laden am Eingangsportal der Kindertagesstätte können sich auch die ärmeren Einwohner Januarias Backwaren leisten. Die jungen "Bäcker" von Servir werden von den Bäckereien der Stadt mit offenen Armen empfangen, sie finden schnell eine Arbeit.

Servir wurde, wie wir bereits letztes Jahr berichteten, als eines von drei Projekten in ganz Minais Jerais in das staatliche Bildungsförderungsprogramm übernommen. Täglich laufen in den voll ausgelasteten Räumen der Kindertagesstätte Kurse in Automechanik, Kunsthandwerk und Informatik. Teilnehmer sind Jugendliche aus allen Teilen Januarias und des Umlandes. Spätestens nach einer landesweiten Fernsehübertragung im Sommer wird das Projekt mit Hilfslieferungen überhäuft. So erreichte uns im September dieses Jahres ein Anruf von Pater Muer, daß Servir im Moment auf eigenen Füßen steht und zumindest mittelfristig nicht mehr unterstützt werden muß.

Auch Quebra Guiada, das kleine Dorf in der Nähe von Januaria, in dem wir beim letzten Besuch die Fundamente für eine Mehrzweckhalle aushoben, ist nicht wiederzuerkennen. Vor wenigen Tagen erreichten uns über Bischof Anselmo Müller Fotos, die zeigen, welch unglaublichen Reichtum die von uns finanzierte Bewässerungsanlage aus dem sonst ausgetrockneten Boden holt. Während bisher die Kleinbauern von der Laune des Wetters abhängig waren, das in der Regel für Landwirtschaft viel zu trocken war, können nun üppige Ernten eingefahren werden.

Bild 1 Hochbehälter der Bewässerungsanlage

Bleibt zu hoffen, daß durch die enge Zusammenarbeit der Bauern mit der staatlichen Landwirtschaftsschule auch langfristig Schäden, die durch künstliche Bewässerung entstehen können, vermieden werden.

Bild 2 Erste Früchte der künstlichen Bewässerung in Quebra Guiada

So sind wir endlich am Ziel und könnten uns eigentlich wieder anderen Dingen zuwenden. Sicher, wer aber einmal in Januaria war, oder sogar mit dem Bischof oder den Patres vor Ort ein wenig in die Gemeinden der Diözese Januaria fahren konnte, der weiß, daß genug Arbeit bleibt. Immerhin gehört die Diözese Januaria zu den ärmsten Regionen des Landes. Unsere Aufgabe in der nächsten Zeit wird es sein, verstärkt Kleinprojekte zu unterstützen, auch Gelder bereitzustellen für Aufgaben, die das nackte Überleben von Kindern sichern. Auf unsere Anfrage nannte der Bischof mehrere Projekte, für die er dringend Hilfe braucht:

Keine Zeit also zum Ausruhen, unsere Hilfe ist offensichtlich weiterhin gefordert. Dabei können wir sicher sein, daß unsere Spenden stets auf dem kürzesten Wege direkt in die Hilfsprojekte laufen. Wo immer möglich, geben der Bischof und die Patres nur Hilfe zur Selbsthilfe. Bei den Kinderkrippen hat das natürlich seine Grenzen. Doch auch diese entstanden nicht durch offizielle Baufirmen, sondern wurden von den Bewohnern der betroffenen Armenviertel aus gespendetem Material selbst hochgezogen.


Wir möchten am Ende dieses Rundbriefes wie jedes Jahr all denen danken, die auch in diesem Jahr durch Spenden oder auf andere Weise zum Erfolg der gemeinsamen Sache beigetragen haben. Unser besonderer Dank gilt dieses Mal den Abiturienten des letzten Jahrgangs, die durch ihren musikalischen Einsatz auf dem Weihnachtsmarkt in Siegen und durch eine weitere Spende immerhin über 4.600,00DM für die Kinder in Januaria bereitgestellt haben. Insgesamt wurden in den 12 Jahren des AK Servir bis zum Erscheinen dieses Rundbriefs über 470.000,00 DM nach Brasilien überwiesen. Es bleibt zu hoffen, daß trotz der Umorientierung, die durch die erfreuliche Entwicklung in Brasilien notwendig geworden ist, die Hilfsbereitschaft nicht nachläßt. Die Kinder der o.g. Einrichtungen kommen alle aus Familien, deren Einkommen, so sie denn überhaupt ein solches beziehen, allenfalls bei 50,00 DM bis 100,00 DM im Monat liegt. Sie haben unsere Solidarität verdient.


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