Servir-Info 1993

Informationen der Arbeitsgruppe SERVIR


Liebe Freunde des AK Servir,

"Wer einen kleinen Dieb beseitigt, begeht keinen Mord, sondern er tut etwas Nützliches." Ohne Umschweife brachte der Präsident der Ladenbesitzer Brasiliens damit auf den Punkt, wie man sich in Brasilien die Lösung des Problems der Straßenkinder denkt. 328 Morde an Straßenkindern wurden in der ersten Hälfte dieses Jahres allein im Bundesstaat Rio verzeichnet. Nach Informationen von amnesty international sind seit 1988 über 10.000 Kinder und Jugendliche, die auf der Straße leben, in Brasilien umgebracht worden. Häufig gehen diese Morde auf das Konto schlecht bezahlter Polizisten, die, in Todesschwadronen formiert, nach Feierabend mit der Jagd auf Straßenkinder ihr Gehalt verbessern. "Was soll ich machen, ich habe Frau und Kinder zu ernähren?", sagte ein Berufskindermörder vor kurzem in einem Fernsehinterview. Er hatte bis dahin bereits über 70 Kinder ohne irgendeine Regung des Gewissens mit einem Revolver erschossen. Bezahlt werden die Täter in der Regel von Ladenbesitzern, die sich durch die Existenz der Kinder bedroht fühlen. Zu den Widersprüchlichkeiten Brasiliens gehört, daß die Täter in der Regel bekannt sind, aber dennoch keine Verfolgung befürchten müssen. Werden sie ausnahmsweise vor ein Gericht gestellt, können sie sich der Sympathie der Bevölkerung sicher sein. Als drei Polizisten 1987 nach dem Mord an einem Straßenjungen degradiert wurden, schlossen alle Ladeninhaber des Ortsteils "Diadema", wo der Mord geschehen war, aus Protest für eine halbe Stunde ihre Läden und ließen die Polizisten hochleben.

Straßenkinder sind keine Engel. Sie, die in den Favelas der Großstädte von ihrer Wiege an Zeugen eines erbarmungslosen Überlebenskampfes sind, lernen schnell, sich in diesem System zu behaupten. Welche Gewalt von diesen "meninos de rua" ausgeht, konnte in diesem Sommer auch eine Berliner Gruppe Erwachsener erfahren, die Servir besuchten. 5 Teilnehmer der Gruppe wurden bei einem Spaziergang an der "Copa Cabana" in Rio von nur 4 Jugendlichen überfallen. Der einzige Mann unter ihnen, ein pensionierter Polizist, wurde mit vorgehaltenem Messer von den übrigen getrennt und nach Geld durchsucht. Während drei der vier Begleiterinnen die Flucht ergriffen, bzw. vergeblich nach Hilfe suchten, schlug eine wehrhafte ältere Krankenschwester mit ihren Schuhen so lange auf die Täter ein, bis sie von ihrem Opfer abließen. Sie hatten sich wohl auch zwischenzeitlich davon überzeugt, daß ihr Opfer kein Geld bei sich trug.


Ratlosigkeit sucht nach Lösungen, und so war es nur verständlich, daß die Betroffenen zunächst am Sinn ihres weiteren Einsatzes für das Projekt zweifelten. Dennoch zeigt gerade Servir daß gezielte Projekte zur Sozialisation der Straßenkinder der o.g. Entwicklung entgegensteuern können. So schießen aus dieser Erkenntnis heraus, zumeist initiiert durch kirchliche Organisationen, überall Projekte aus dem Boden, die sich wie Servir speziell auch um Straßenkinder kümmern. Ohne Hilfe von außen haben sie nicht die geringste Chance, dem Teufelskreis der Armut zu entrinnen, nicht in die Kriminalität zu fallen.

Bild 1 Kinder im Servir bei der Essensausgabe

Servir davon konnten wir uns diesen Sommer vor Ort überzeugen, hat die Folgen der Überschwemmungskatastophe im letzten Jahr gut überstanden. Der Fußballplatz, wir berichteten, ist inzwischen fertig. Eine größere Fläche zwischen den beiden Gebäudetrakten, in denen sich die Aufenthalts- und Lehrräume befinden, wurde großzügig überdacht, um den Kindern auch bei Regen, insbesondere aber auch in der brüllenden Sonnenhitze des Sommers, das Spielen im Freien zu ermöglichen.

In dieser Situation stellt sich die Frage, ob es Sinn macht, Servir im gleichen Maße wie bisher weiter zu unterstützen, oder ob es nicht besser ist, einen Teil der Spendengelder gezielt in andere Projekte zu leiten. Keine Frage, Servir ist uns ans Herz gewachsen, wir werden es weiter unterstützen, aber wir möchten auch die Augen nicht verschließen vor dem Elend derjenigen. Kinder in Januaria, die nicht in das Projekt aufgenommen werden können. So haben wir im letzten Jahr den Bau einer Kinderkrippe in "Conico Marino" unterstützt, einer Favela, die sich am Stadtrand von Januaria ständig vergrößert. Über 100 Kinder mittelloser Familien im Alter zwischen 2 und 6 Jahren werden dort tagsüber betreut und verpflegt.

Bild 2 "O pequeno Davi" - ein neues Projekt

Das neueste Projekt, das wir unterstützen, trägt den schlichten Namen: "0 Pequeno Davi em combate ao Golias da Fome" - "Der kleine David im Kampf mit dem Goliat Hunger". In dem einfachen Haus, das die Patres der Missionare von der Heiligen Familie im Frühjahr für wenig Geld erwarben, sollen unterernährte, vom Tode bedrohte Kleinkinder von zwei Schwestern gesund gepflegt werden. Wie wichtig diese Einrichtung ist, zeigt, daß allein in den drei Wochen, in denen wir im Sommer in Brasilien waren, drei Kleinkinder in Januaria an Unterernährung starben.

So hoffnungsvoll die Entwicklung der Projekte in Januaria auch ist, große Sorge bereitet die Entwicklung des AK Servir an unserer Schule. Zwar ist der finanzielle Erlös auch dieses Jahr mit ca. 49.000,00 DM beachtlich, doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Gruppe personell an Auszehrung leidet. Wenn die diesjährigen Abiturienten uns verlassen, sind nur noch drei Schüler in der Gruppe. Vielleicht hat ein Appell von dieser Stelle aus an euch, liebe Schüler, den Erfolg, daß zumindest einige sich der Gruppe anschließen.


Nächstes Jahr feiern wir unser 10jähriges Jubiläum. Natürlich werden wir bei dieser Gelegenheit mehrere Aktionen starten. Eine Möglichkeit wäre, 1995 eine Gruppenreise Erwachsener nach Januaria zu organisieren. Bischof Anselmo Müller lädt auf diesem Wege dazu ein. Wer Interesse hat, kann sich unverbindlich an das Sekretariat unserer Schule wenden. Wenn sich eine Gruppe formieren sollte, liegt es weitestgehend in der Hand der Teilnehmer selbst, ein Programm zu erarbeiten, das den Wünschen aller gerecht wird. Natürlich helfen wir gerne dabei. Nur Mut, es ist schon etwas anderes, vor Ort gewesen zu sein als sich ständig durch die Medien informieren zu lassen. Natürlich ist die Teilnehmerzahl einer solchen Gruppe beschränkt. Maximal 10 Teilnehmer kann der Bischof aufnehmen. So sollten Sie sich gegebenenfalls möglichst bald melden. Wir nehmen dann telefonisch mit Ihnen Rücksprache auf.

Zum Schluß möchte sich der AK Servir bei allen herzlich bedanken, die uns dieses Jahr finanziell oder aber auch durch ihren tatkräftigen Einsatz unterstützt haben.


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