Straßenkinder

Von Branko Stahl

Die berüchtigte Plakatierung im Sommer 1993 im Gebiet der kolumbianischen Hauptstadt Bogota lud Straßenkinder und "Kriminelle" zu ihren eigenen Begräbnissen ein. Die Anschläge waren professionell gedruckt und Berichten zufolge von örtlichen Industriellen, Ladenbesitzern und Wirtschaftsverbänden entworfen worden. Über Nacht wurden Dutzende dieser 60 cm mal 60 cm großen Anschläge angebracht. Während die Kinderprostituierten sich an ihre Klebstofftüten klammern und sich der Warnung nicht bewußt zu sein scheinen, wissen andere, daß es sich dabei nicht um leere Drohungen handelt: Kolumbien hat eine der höchsten Mordraten der Welt. Allein in Kolumbien wurden 1991 2800 Kinder ermordet.

Straßenkinder, die oft zu Kleinkriminellen werden, um zu überleben, werden als "unerwünschte Elemente" angesehen. Örtliche Geschäftsleute und Ladenbesitzer, die die Straßenkinder als Störung der Geschäftsinteressen ansehen, unterstützen häufig "Todeskommandos", die "soziale Säuberungen" vornehmen. Es gibt Beweise dafür, daß sich diese "Todeskommandos" aus Mitgliedern der Nationalen Polizei zusammensetzen.

Angegriffen werden auch diejenigen, die versuchen, das Leben der Kinder auf der Straße zu verbessern. In Cali, Valle de Cauca, wurde unter der Schirmherrschaft des Stadtrates und des Rats für Frieden, Sicherheit und Entwicklung ein Straßenbanden-Projekt aufgebaut. Es war ein Versuch, Mitglieder von Straßenbanden, die ihre Waffen aushändigen mußten, zu rehabilitieren. Das Projekt lockte 200 Kinder an. Zwischen Mai und September 1993 wurden dann aber 12 Kinder, die sich an dem Projekt beteiligt hatten, erschossen. Der Friedensberater von Cali hält die Polizei dafür verantwortlich. Daraufhin erhielt er Todesdrohungen. Nun ist die Zukunft des Projektes in Gefahr, und um die Sicherheit der Kinder und der Projektmitarbeiter muß gefürchtet werden.

Ähnliche Formen von Belästigung, Drohungen, Schlägen, Folter und Tötungen durch die Behörden werden wiederholt auch aus anderen Ländern wie Brasilien und Guatemala berichtet, wo Kinder durch die schlechten sozialen Bedingungen gezwungen sind, auf der Straße zu leben.

In Brasilien werden auf den Straßen immer noch hunderte von jungen Menschen erschossen, allein im Staat Rio de Janeiro in den ersten sechs Monaten des Jahres 1993 über dreihundert Kinder und Jugendliche. Bei einem Vorfall im Juli 1993 eröffneten Bewaffnete - angeblich handelte es sich bei ihnen um Polizisten - das Feuer auf 50 Kinder, die in der Nähe der Candelaria Kirche in Rio de Janeiro auf der Straße schliefen. Fünf von ihnen wurden sofort getötet, zwei weitere wurden in der Nähe getötet, ein achtes Opfer erlag vier Tage später seinen Verletzungen. Ungewöhnlich an diesem Fall war, daß vier Menschen, einschließlich dreier Polizisten, für dieses Verbrechen unter Anklage gestellt wurden. Den brasilianischen Behörden gelingt es jedoch in den meisten Fällen nicht, Untersuchungen zu beenden oder die Täter vor Gericht zu stellen.

Wie in Kolumbien und Brasilien sind es auch in Guatemala nicht nur die Kinder selbst, die mit dem Risiko leben müssen, sondern auch diejenigen, die versuchen ihnen zu helfen. Die Sicherheitsbehörden schüchtern Beteiligte durch Drohungen und Gewaltanwendung ein, darunter auch Mitarbeiter der Casa Alianza, die weiterhin darauf drängen, die Täter vor Gericht zu bringen. Amnesty International setzt sich für gründliche Untersuchungen der Tötungen von Straßenkindern ein und dafür, daß die dafür Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Die Organisation drängt die Behörden, Straßenkinder, Opfer polizeilicher Gewalt und Zeugen unter angemessenen staatlichen Schutz zu stellen.


Branko Stahl ist Mitglied der Koordinationsgruppe der deutschen Sektion von amnesty international zu Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Jugendlichen.


Quelle: amnesty international

amnesty international

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