Servir-Info 1994

Informationen der Arbeitsgruppe SERVIR


Liebe Freunde und Förderer des AK Servir,

wir waren auf dem Wege von Manaus nach Santarém, als unsere Maschine plötzlich an Höhe verlor und offenbar beabsichtigt mitten im Urwald niederging. Rennefeld ein Großflughafen dagegen, sicher nicht, aber durchaus vergleichbar. Da saßen wir nun in unserer klimatisierten Boing 737 und schauten auf die kleine Holzhütte runter, die als Flughafengebäude diente. Das Flimmern der Luft verriet, daß die Außentemperatur sehr unangenehm sein mußte. "Mein Gott," fragte Markus, "wo sind wir hier gelandet?" Porto Trombetas, hätte er wissen müssen, wenn ihn nicht die phantastischen Gewitterblitze von der Ansage der Stewardeß abgelenkt hätten. Gerne wären wir den paar Leuten gefolgt, die die Maschine verließen. Ein Hauch von Abenteuer lag in der Luft.

Gut, daß wir in der Maschine blieben, denn, so erfuhren wir erst vor wenigen Wochen, Porto Trombetas ist ein Alptraum. Die etwa 7.000 Einwohner zählende Stadt wurde vor 30 Jahren von einer Minengesellschaft mitten im Urwald aus dem Boden gestampft. Der gesamte Komplex, ja sogar die Kirche, gehört der Gesellschaft. Wer die Stadt betritt, muß sich am Sicherheitsposten der Firma ausweisen. Die Mineração Rio do Norte kontrolliert einfach alles: die Wohnungen der Bevölkerung, die Versorgung mit Trinkwasser, Strom und Nahrungsmitteln, das Schulwesen, ja sogar die Gesundheitsversorgung und das Telefonsystem. Keiner wird ohne Genehmigung der Gesellschaft in der Krankenstation behandelt, keiner telefoniert, wenn sie es nicht will. Sie hört die Gespräche ab und unterbricht einfach die Leitung, wenn es ihr opportun erscheint. Wer sich nicht ihren Bedingungen fügt, fliegt raus. So erging es 1990 etwa 100 Arbeitern, die sich während eines Streiks hervorgetan hatten. Der Sicherheitsdienst der Firma kam zu den Leuten nach Hause, ein Möbelwagen fuhr vor, die Sachen wurden aufgeladen und sie wurden am Hafen mitsamt ihrem Hab und Gut abgeladen und nach Santarém eingeschifft. Die Dörfer in der unmittelbaren Nachbarschaft von Trombetas verloren innerhalb weniger Jahre ihre durch den Freiheitskampf der Sklaven entstandene Identität. Die Bauern mußten mit der Eröffnung der Mine in den 70er Jahren ihr Land verlassen. Nur wenige fanden bei der Mineração Rio do Norte schlecht bezahlte Arbeit. Sie tauschten Ackerbau, Sammelwirtschaft und Fischfang gegen Gewalt, Prostitution und Perspektivlosigkeit.


Dieses alles hätte mit uns nichts zu tun, wenn es da nicht den kleinen Aludeckel gäbe, unser Projekt ALU - Aus Liebe zur Umwelt. Viele dieser kleinen Deckel, die wir sorgsam seit 5 Jahren sammeln, könnten tatsächlich aus Trombetas kommen. Dort nämlich liegt das größte Bauxit Vorkommen Brasiliens. Als wir vor 5 Jahren mit dem Projekt begannen , ahnten wir jedoch noch nichts von diesen Zusammenhängen. Unsere Überlegungen waren einfach:

  1. Aluminium ist "verpackte Energie". 14,5 Megawatt-Stunden elektrische Energie braucht man, um eine Tonne Aluminium aus dem Rohstoff Bauxit zu gewinnen. Beim Recycling von Aluminium ist nur etwa 1/10 der Energie notwendig. Aluminium ist deshalb ein besonderer Wertstoff, den man nicht achtlos in den Müll werfen sollte. Gerade die Schule als Ort des Lernens derjenigen, die die Folgen unseres achtlosen Umgangs mit der Natur irgendwann ausbaden müssen, kann es sich nicht leisten, an diesem Thema vorbeizugehen.
  2. Das Sammeln und Sortieren von Aluminium bringt Geld. 41.550,00 DM sind in den ersten 5 Jahren zusammengekommen. Doch weniger die Gesamtsumme ist entscheidend. Viel wichtiger ist das Bewußtsein, daß eine Klasse in einer Vertretungsstunde durch intensives Sortieren den Monatslohn eines Arbeiters in Brasilien erwirtschaften kann. Dabei kann jeder Schüler selbst entscheiden, wie sehr er sich einbringt. Nicht eine Spende von seinem Taschengeld ist gefragt, sondern sein Handeln. Helfen durch Handeln, sicher ein lohnenswertes Lernziel.
  3. Die Phantasie des einzelnen wird beim Sortieren kaum beansprucht, wenn er, umgeben von Gestank und Dreck, beim Überwinden zeitweilig auftauchenden Ekels sich vorstellt, wie sich diejenigen Kinder fühlen müssen, deren Heimat die Mülldeponien der Großstädte überall in der Dritten Welt sind. Sie sammeln dort Dosen und anderen Schrott, um zu überleben, oder, schlimmer noch, sie sind angewiesen auf die schimmelnden Essensreste, die sie wie Ratten aus dem Müll der Gesellschaft heraussuchen.

Bild 1 LKW beim Entladen einer Aluminiumlieferung

Wir wußten damals noch nicht, welche Rolle gerade Aluminium im Zusammenhang mit Brasilien aber auch der gesamten Dritten Welt spielt. Über 70% des gesamten Aluminiums wird inzwischen in der Dritten Welt gewonnen. Nicht etwa, weil nur dort lohnenswerte Ressourcen liegen. Nein, Bauxit, das Ausgangsprodukt, gibt es auch anderswo. Der Grund ist ein anderer. Nur in der Dritten Welt akzeptiert man die Umweltzerstörung, die mit der Herstellung von Aluminium verbunden ist. Wen interessiert schon, wenn um Trombetas große Flächen Urwald gerodet werden, unter denen das Bauxit liegt? Wer denkt darüber nach, wie viele Menschen durch den Umgang mit den z.T. hochtoxischen Abfallprodukten der Aluminiumherstellung von Krankheiten befallen werden? Die Sicherheitsauflagen sind gering und nicht mit unseren Standards zu vergleichen. Problematisch ist auch der ungeheure Energiebedarf für die Aluminiumherstellung. Tucurui, ein Staudamm mit 2.360 Quadratkilometer Fläche, liefert über 60% seiner Energie an die Aluminiumwerke ALUMAR und ALBRAS, die das Bauxit aus Trombetas verarbeiten. Der Staudamm wäre ohne diese Werke nie gebaut worden. Ein Urwald von der Größe des Saarlandes versank in den Fluten. Rettung für die Tiere , unmöglich. Die Menschen wurden vertrieben, ihre Lebensgrundlage zerstört. Doch wer weiß das schon?

Der Bogen zurück zu unserem Projekt ist an dieser Stelle nicht leicht. Sicher, über 10 Tonnen Aluminiumdeckel haben wir in den letzten 5 Jahren dem Recycling zugeführt, eine großartige Leistung, aber was ist das schon vor diesem Hintergrund? Wäre es nicht besser, den Verbrauch von Aluminium ganz einzustellen? Gewiß nicht! Aluminium ist aus der modernen Industriegesellschaft nicht mehr wegzudenken. Recycling ist daher ein vernünftiger Ansatz, doch er ist nur dann sinnvoll, wenn wir im Alltag sorgsam mit dem Material umgehen. Muß denn wirklich jede Grillwurst ihre eigene Aluminium - Einwegschale haben, reicht für Butterbrote nicht das gute alte Butterbrotpapier?! Recycling ist gut, Vermeiden ist besser. Wir sind jedenfalls überzeugt, resigniert aufzugeben ist das falsche Signal. Dieser Meinung waren auch die meisten Schüler der Sekundarstufe 1, als sie im Januar dieses Jahres in geheimer Abstimmung selbst über die Zukunft des Projekts ALU entscheiden sollten. Von 260 im Klassenverband gefragten Schülerinnen und Schülern stimmten 244 dafür, weiterhin gelegentlich in Vertretungsstunden Aluminium zu sortieren. Wer die Arbeit kennt, hätte mit diesem Ergebnis nicht gerechnet. Dank an euch, ihr habt selbst den größten Optimisten überrascht!


Dank auch an all diejenigen Schüler, die sich im Frühjahr entschieden haben, dem AK Servir beizutreten. Wir sind wieder eine starke Truppe, und die ist notwendig, um den Gedanken an die Dritte Welt in der Schule lebendig zu halten. Auch finanziell war dieses Jahr ein voller Erfolg. Immerhin wurden insgesamt 64.070,00 DM eingenommen. 62.000,00 DM wurden nach Januaria überwiesen. Unser besonderer Dank gilt denjenigen, die anläßlich von Geburtstagsfeiern oder Beerdigungen größere Spenden überwiesen. Immerhin 25.900,00 DM kamen auf diese Weise zusammen. Zum Schluß auch einmal herzlichen Dank an die Fa. Scheele, die bereits seit mehreren Jahren den Transport des Aluminiums nach Meschede kostenlos übernimmt.


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