"Kommt Kinder, sterbt mit mir ...!"

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Von Neil G. Boothby und Christine M. Knudsen

Jedes Mal, wenn wir über Kindersoldaten diskutieren, werden wir gefragt: Ist das nicht ein uraltes Problem? Die Antwort lautet: Nein. Die Praxis, Kinder gewaltsam zu rekrutieren, war zwar im letzten Jahrtausend mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt. Doch hat sie nie eine so große Rolle in der Kriegsführung gespielt wie heute.

Im Feudalsystem des mittelalterlichen Europa führten lediglich Ritter Feldzüge. Nachdem eine Schlacht gewonnen oder verloren war, gingen beide Seiten auseinander und kehrten nach Hause zurück. Der ritterliche Ehrenkodex verbot Zivilisten die aktive Teilnahme an kriegerischen Auseinandersetzungen, und Könige verhängten drastische Strafen gegen jeden Adeligen, der Bauern oder Kinder zum Kriegsdienst anwarb. Die katholische Kirche wandte sich gegen den berühmten Kinderkreuzzug des 13. Jahrhunderts, und er erreichte niemals das Heilige Land. Gelegentlich waren Kinder unter den Söldnern, die reiche Stadtbewohner jener Zeit anwarben, um ihren Einflussbereich gewaltsam auszuweiten. Aber der Kindersoldat ist in Wirklichkeit erst das Produkt der späteren Epoche stehender Heere.

Mit den Worten "Kommt Kinder, sterbt mit mir für das Vaterland!" zog Friedrich der Große 1758 bei Zorndorf mit seinen halbwüchsigen Soldaten gegen die Russen in die verlustreiche Schlacht. Und im Frankreich des 18. Jahrhunderts hatten die Söhne des niederen Adels kaum eine andere Wahl, als bereits in früher Jugend Berufssoldat zu werden. Das Blatt der Geschichte wendete sich erneut während der Französischen Revolution, als Massenaushebungen üblich und Kinder nicht mehr länger als Kämpfer benötigt wurden. Selbst zur Zeit der allgemeinen Mobilmachung gegen Ende der Französischen Revolution arbeiteten Kinder ausschließlich mit den Frauen und den alten Männern hinter dem eigentlichen Kriegsgeschehen, wenn sie sich um die Verwundeten kümmerten.

Bis zu den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden Kriege auf Schlachtfeldern zwischen verfeindeten Armeen ausgetragen. Zivilisten galten nicht als die Hauptziele, wenngleich sie unter Hunger, Plünderung und Gewalt litten. Die Art der Kriegsführung änderte sich jedoch dramatisch während des Spanischen Bürgerkrieges, als Flugzeuge Dörfer und Städte bombardierten. Die rücksichtslose Zerstörung, die mit Durango und Guérnica begann, fand ihren Höhepunkt, als Atombomben 1945 in Hiroshima und Nagasaki 200000 Menschen töteten. Die Ausweitung des Krieges auf Zivilisten führte zum erneuten Einsatz von Kindern als Kämpfern. Während des Zweiten Weltkriegs arbeiteten mehrere tausend Kinder in Widerstandsbewegungen, wo sie aufgrund ihres einfallsreichen Vorgehens und ihrer schnellen Auffassungsgabe sehr geschätzt waren. In vielen der kolonialen Befreiungskriege in den fünfziger und sechziger Jahren ergriffen Kinder ebenfalls die Waffen.

Die weltweite Bewegung gegen den Einsatz von Kindersoldaten begann in den siebziger Jahren mit der Arbeit von Dorothea E. Woods aus dem Quaker Vereinten-Nationen- Büro in Genf. Mitte der achtziger Jahre entwickelte der norwegische Zweig der Hilfsorganisation "Save the Children" in Angola eines der ersten Programme zur Rehabilitation von Kindersoldaten. Es musste jedoch eingestellt werden, als Vereinbarungen mit dem angolanischen Militär zur Entwaffnung der Kinder fehlschlugen. Wenig später gab es die erste erfolgreiche Projektarbeit in Mosambik. Es folgten Programme von "Save the Children" sowie von anderen internationalen und lokalen Organisationen in Sri Lanka, Liberia, Kambodscha und weiteren Ländern. 1998 schlossen sich einige Nichtregierungsorganisationen zur "Internationalen Koalition gegen den Einsatz von Kindersoldaten" zusammen, um sich weltweit für einen wirksameren Schutz der Kinder einsetzen zu können. Die auch von Unicef unterstützte Koalition macht sich vor allem für das jüngst von der UN-Vollversammlung verabschiedete Zusatzprotokoll zur Konvention über die Rechte des Kindes stark. Regierungsvertreter, Militärs und Hilfsorganisationen konnten miteinander ins Gespräch gebracht werden.


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Neil G. Boothby leitet die Abteilung Children in Crisis bei der Hilfsorganisation Save the Children in der US-Bundeshauptstadt Washington. Zuvor koordinierte er in verschiedenen Behörden - unter anderem für den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) - Hilfsprogramme für Flüchtlingskinder und war von 1986 bis 1996 Professor an der Duke- Universität.

Christine M. Knudsen ist Projektleiterin in Boothbys Abteilung. Von 1997 bis 1999 leitete sie das UNHCR-Notprogramm für Tschetschenien. Sie hat in Burundi ein Aussöhnungsprogramm initiiert und in verschiedenen anderen Ländern über Wiederaufbauprojekte geforscht.


Quelle: Spektrum der Wissenschaft - Oktober 2000

Spektrum der Wissenschaft

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