Globalisierung und Regionalisierung
Auslandsverschuldung durch Kreditaufnahme
Unfreiwillige Abkoppelung
Die Not der ärmsten Länder
Die Einteilung der Welt in Nord und Süd, in reich und arm fällt nicht mehr so leicht wie noch vor wenigen Jahren: Da boomen die Newly Industrialized Countries Asiens, und da verelenden viele Staaten südlich der Sahara in Afrika immer mehr. Die Weltwirtschaft zeigt gegenläufige Tendenzen, einerseits die Tendenz zu einer Globalisierung der Märkte und einem Abbau von Handelshemmnissen und zur gleichen Zeit den Trend zu einer Regionalisierung, also zu einer Ausweitung des Handels in der Region. Viele Länder Afrikas bereiten Sorgen, ihr Weltmarktanteil sinkt. Es scheint, als würden sie aus dem Weltwirtschaftsgeflecht herausfallen.
Von Michael Windfuhr
Der Welthandel gilt als der Motor der Weltwirtschaft. Nimmt man den Handel als Indikator, ist es um die Weltwirtschaft derzeit bestens bestellt. Der Welthandel boomt: 1994 wuchs er um 9,5 Prozent, und erstmals wurden mehr als 4000 Milliarden US-Dollar im grenzüberschreitenden Warenhandel umgesetzt. Gleichzeitig überschritt der Handel mit Dienstleistungen (Banken, Versicherungen, Ingenieurleistungen, Telekommunikation, Tourismus) die Schwelle von 1100 Milliarden US-Dollar. Seit zehn Jahren wächst der Warenaustausch zweieinhalb mal so schnell wie die weltweite Produktion. Dabei sind es nicht nur die Steigerungsraten, die auf die wachsende Bedeutung des weltweiten Güteraustausches hinweisen. Neu ist auch die Qualität der internationalen Vernetzung der Wirtschaft. Schnell gewachsene Finanzmärkte erlauben es, weltweit das benötigte Kapital für Investitionen bereitzustellen, inzwischen ist die Abwicklung internationaler Geschäfte fast so leicht wie ein Kinderspiel. Die rasanten Fortschritte der Telekommunikation machen es möglich, die Logistik komplizierter Produktionsprozesse weltweit zu steuern, in deren Rahmen zum Beispiel Vorprodukte aus verschiedenen Ländern an fast jeder Stelle des Globus zu einem Endprodukt gefertigt werden können, das wiederum seinerseits weltweit vermarktet wird. Die Einschränkung "fast jeder" macht allerdings auf zwei damit einhergehende Probleme aufmerksam:
Voraussetzung für die hohen Wachstumsraten des Weltmarktes sind verläßliche internationale Rahmenbedingungen. Rechtssicherheit ist nicht nur bei Auslandsinvestitionen wichtig, sondern auch beim Handel. Ohne die Gewißheit, daß dieselben Waren auch in Zukunft zu akzeptablen Bedingungen absetzbar sein werden, wäre weltwirtschaftliche Exportorientierung in diesem Umfang nicht zu erwarten. Die entsprechende Rechtssicherheit entstammt internationalen Abkommen, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden sind, wie etwa das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT).
Die handelspolitischen Rahmenbedingungen waren in den letzten Jahren wiederholt Gegenstand internationaler Verhandlungen. Zwischen 1986 und 1994 konnte im Rahmen der achten Verhandlungsrunde des GATT über eine Liberalisierung und Harmonisierung nationaler Bestimmungen für den Austausch von Waren und Dienstleistungen ein Abkommen erreicht werden, in dessen Folge seit 1995 eine neue internationale Organisation geschaffen wurde, die Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO).
In Indiens Teppichfabriken dominiert noch immer Kinderarbeit, gegen die Brot
für die Welt, Misereor sowie Terre des Hommes ankämpfen. Die
Entwicklungsländer erreichen ein erhebliches Exportvolmen mit Textilien; vor
allem die Niedriglohnländer Asiens wurden zu einer Konkurrenz für den
Westen, der mit Importquoten als eine Schutzmaßnahme für die eigenen
Industrien reagierte.
1992 etablierte die Europäische Union mit dem gemeinsamen Binnenmarkt den größten gemeinsamen Markt der Welt. Nur zwei Jahre später folgten die USA, Kanada und Mexiko mit dem NAFTA-Vertrag (North American Free Trade Agreement). In verschiedenen Regionen wird derzeit über vergleichbare Abkommen diskutiert oder bereits verhandelt. Unter dem Dach der APEC, der Asiatisch- Pazifischen Wirtschaftszusammenarbeit, wird ebenso über einen regionalen Markt gesprochen, wie in Lateinamerika im Bereich des Anden-Paktes oder dem neuen gemeinsamen südamerikanischen Markt "Mercosul" zwischen den Ländern Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay.
Als gemeinsame Idee steht hinter all diesen Versuchen, den Welthandel zu strukturieren und verläßlich zu regulieren, die Grundüberzeugung, daß der Abbau von Handelshemmnissen die Gesamtwohlfahrt aller beteiligten Staaten erhöht. Nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes hat sich diese Leitidee mit Macht allgemein durchgesetzt, da die alten wirtschaftspolitischen Gegensätze bedeutungslos wurden. Tatsächlich befürworten die meisten Länder ihre Integration in den Weltmarkt und betreiben auch eine solche Politik aktiv.
Exemplarisch können hierfür die Erwartungen aller Ländergruppen stehen, die von den Liberalisierungsmaßnahmen der Uruguay-Runde des GATT ökonomisch profitieren: Auf 213 Milliarden US-Dollar bezifferte die OECD schon 1992 die weltweit bis zum Jahre 2002 zu erwartenden Gewinne aufgrund des erfolgreichen Abschlusses der Uruguay-Runde. Der größere Teil davon wird in den Industrieländern anfallen. Für Entwicklungsländer prognostizierte die OECD Wohlfahrtsgewinne zwischen 30 und 70 Milliarden US-Dollar. Lediglich eine Welt-Region wird nun mit Einkommensverlusten aus dem internationalen Handel rechnen müssen: Afrika, und zwar mit mehr als zwei Milliarden US- Dollar.
Über 70 Prozent des Welthandels entfallen auf die Industrieländer. Allerdings ist Bewegung in die Verteilung der Welthandelsanteile zwischen Nord und Süd gekommen. Der Anteil der Entwicklungsländer hat sich in den letzten Jahren von rund 20 Prozent in den 80er Jahren auf derzeit 27 Prozent erhöht. Davon entfällt der größte Teil auf eine kleine Zahl von asiatischen Ländern, die inzwischen vielfach als "Newly Industrialized Countries" (NIC) bezeichnet werden. An den Exporten verarbeiteter Produkte haben Entwicklungsländer derzeit einen Anteil von 19,7 Prozent. Mehr als vier Fünftel (83,1 Prozent) davon entfallen nach GATT Angaben auf asiatische Entwicklungsländer.
Lateinamerika kommt mit Brasilien und Mexiko auf 10, 8 Prozent. Der Anteil Afrikas ist inzwischen auf 2,6 Prozent gesunken. Allein auf die vielfach zitierten "asiatischen Tiger" Hongkong, Singapur, Südkorea und Taiwan entfallen 62 Prozent aller Industriegüterexporte der Entwicklungsländer.
Tropische Hölzer werden nicht mehr nur in Industrienationen ausgeführt,
sondern auch in Schwellenländer. Die Waldwirtschaft spielt, wie hier in
Malaysia, regional eine große Rolle. Eine nachhaltige Nutzung ist allerdings
meistens noch die Ausnahme.
Dem steht eine große Gruppe von Entwicklungsländern mit stagnierenden oder schwindenden Anteilen gegenüber. Ihre Exportstatistik wird nach wie vor von wenigen, meist unverarbeiteten Rohstoffen oder von der Bekleidungsindustrie (zum Beispiel Bangladesh über 77 Prozent) dominiert. Manches afrikanische Land ist zu fast 100 Prozent vom Export einiger oder nur eines Rohstoffes abhängig (zum Beispiel Mali und Niger zu 98 Prozent). Durch die schnellen Wachstumserfolge der "neu industrialisierten Länder" wird die überkommene Einteilung in Industrie- und Entwicklungsländer zunehmend obsolet. Die Entwicklungsländer sind kaum mehr als einheitliche Gruppe zu betrachten, sie differenzieren sich immer deutlicher. Die Weltbank zählt Länder wie Hongkong und Singapur deshalb bereits zu den Ländern mit hohem Einkommen. Wohl zu Recht, denn beim statistischen Wert des Durchschnittseinkommens pro Kopf der Bevölkerung liegt zum Beispiel Südkorea nach den neuesten Weltbankangaben schon vor Griechenland.
Erkennbar wurde diese Entwicklung auch in den divergierenden Interessen zwischen den Entwicklungsländern in der Uruguay-Runde des GATT. Eine Einigkeit auf eine gemeinsame handelspolitische Position der Entwicklungsländer - in den 70er und 80er Jahren eine Selbstverständlichkeit - kam in der Uruguay-Runde nicht mehr zustande.
Als zweiter Trend neben der Globalisierung ist gleichzeitig eine Regionalisierung der Weltmärkte erkennbar. Der Waren- und Dienstleistungsaustausch steigt in den Regionen derzeit schneller als der zwischen den Regionen. Die Europäische Union ist ein Beispiel dafür, wie die binnenwirtschaftliche Integration der europäischen Staaten die Nationalökonomien dieser Länder immer mehr miteinander verwoben hat. Rund 70 Prozent der Exporte von EU-Ländern gehen in EU-Länder.
Auch in anderen Regionen der Welt wächst die Bedeutung des intraregionalen Handels. In Asien - einschließlich Japan - ist sein Anteil von 45 Prozent 1990 auf 50 Prozent 1993 gewachsen. In Nordamerika bleibt ein Drittel der Exporte innerhalb der Region. Deutlich geringer ist allerdings die Bedeutung des intraregionalen Handels in Lateinamerika (19 Prozent) und Afrika. Diese Regionen sind in ihren Handelsbeziehungen nach wie vor stark auf die alten Kolonialbeziehungen ausgerichtet.
Bislang ist nicht zu erkennen, daß Globalisierung und Regionalisierung sich widersprechende Tendenzen wären. In ihrer Charakteristik sind die regionalen Handelsabkommen von den gleichen Prinzipien bestimmt wie das GATT und eher der Liberalisierung als der regionalen Abschottung verpflichtet. Dennoch sind die Beziehungen zwischen den drei großen Handelsblöcken USA, Japan und EU zunehmend durch eine aggressive Weltmarktkonkurrenz geprägt. Der Kampf um Erhalt und Ausbau der jeweiligen Weltmarktposition wird derzeit hart und mit vielfältigen ökonomischen und politischen Mittel geführt. Ob dies zu einer zukünftigen Abschottung der Weltmarktregionen führen wird, ist bislang nicht erkennbar. Derzeit ist der Globalisierungstrend, also der weitere Abbau von Handelsschranken, dominierend.
Nicht immer wurde so positiv über die Wohlfahrtswirkungen des Welthandels beziehungsweise der Weltwirtschaft für Entwicklungsländer gesprochen, wie dies derzeit zum Beispiel in den Studien der OECD geschieht. Im Hintergrund dieser Akzentverschiebung steht ein radikaler Wandel in der politischen Diskussion über die Bedeutung von weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für den Entwicklungserfolg oder -mißerfolg einzelner Länder. In den 70er und frühen 80er Jahren waren entwicklungspolitische Debatten von Fragen geprägt, wie die strukturellen Nachteile von Entwicklungsländerökonomien im Welthandels- und Weltfinanzsystem ausgeglichen werden könnten. Die Sachzwänge des Weltmarktes schienen vielen Theoretikern so dominierend, daß sie Entwicklungsländern sogar die "Abkoppelung" vom Weltmarkt empfahlen.
Der offizielle Diskurs auf der Ebene der Vereinten Nationen verlief nicht annähernd so radikal, doch wurden Elemente dieser Diskussion in politische Programme umgemünzt. Auf der dritten Konferenz der Vereinten Nationen zu Handel und Entwicklung (UNCTAD) 1972 in Santiago de Chile forderten die Entwicklungsländer - als Gruppe der 77 organisiert - zum ersten Mal eine Neue Weltwirtschaftsordnung (NWWO). Das Schlagwort der NWWO klang umfassender als die konkreten politischen Forderungen, die mit dem Programm verknüpft waren; denn eine neue Wirtschaftsordnung wurde in der Tat nicht verlangt. Es ging vor allem darum, die bisherigen internationalen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Entwicklungs- und Industrieländern, die die Industrieländer begünstigten, durch Reformen so zu verändern, daß Entwicklungsländer stärker am Nutzen der Weltwirtschaft teilhaben könnten. Dies sollte vor allem durch ein Maßnahmenbündel erreicht werden, zu dem unter anderem der Abbau des handelspolitischen Protektionismus der Industrieländer, die Förderung von Exporten verarbeiteter Produkte aus den Entwicklungsländern durch Präferenzabkommen sowie die Stabilisierung der Preise für Rohstoffe gehörten.
Die Arbeitsbedingungen auf Teeplantagen, etwa in Indien, sind heute vielfach besser
als im Landesdurchschnitt; Kleinbauern versuchen, mit Plantagenbesitzern zu
konkurrieren.
Problematischer ist der Export von Kaffee, der oft die entscheidenden
Devisen bringt. Fallende Preise verschärften bis 1994 das Schuldendilemma
erheblich, aus Not pflanzten viele Bauern Drogen statt Kaffee.
Auch wenn diese Debatte über Jahre internationale Konferenzen bestimmte, scheiterte das Gesamtkonzept einer NWWO am Widerstand der Industrieländer zum Beispiel gegen die dirigistischen Vorschläge zur Regelung des Rohstoffhandels: es wurde im großen Umfang nie realisiert. Teile der Forderungen fanden allerdings in der Folge in bi- und multilateralen Handelsabkommen Berücksichtigung. Die Industrieländer räumten den Entwicklungsländern im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems einen begünstigten Marktzugang für verarbeitete Produkte ein. Im GATT wurden den besonderen Interessen der Entwicklungsländer durch die Aufnahme des Teil IV "Handel und Entwicklung" (1966) und durch die Ausnahme von der Meistbegünstigungklausel (1979) Rechnung getragen. Die Europäische Union berücksichtigte die Forderungen in ihrem besonderen Abkommen mit ihren ehemaligen Kolonien, dem Lomé-Abkommen mit 70 sogenannten AKP-Staaten (Afrika, Karibik und Pazifik). In den Lom6Verträgen wurde den Entwicklungsländern nicht nur ein verbesserter Marktzugang für verarbeitete Produkte eingeräumt, sondern auch ein System zur Stabilisierung der Erlöse aus Rohstoffexporten etabliert.
Als weiterer Beleg für die negativen Auswirkungen weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen wurde ab Ende der 70er Jahre die Auslandsverschuldung der Entwicklungsländer thematisiert. Die günstige Verfügbarkeit von privaten Bankkrediten nach der Ölkrise von 1973, als die erdölexportierenden Staaten große Finanzmittel anzulegen suchten, verführte viele Entwicklungsländer im großen Rahmen Kredite aufzunehmen. Oft wurde die "Verführung" durch die Geschäftspolitik internationaler Banken angeregt, da sie den Ländern das billige Geld regelrecht aufdrängten.
Besonders wenn diese Kredite dann nicht rentabel angelegt wurden, zum Beispiel in großen Infrastrukturprojekten, für Importe von Rüstungsgütern oder zur Abdeckung von Haushaltsdefiziten, und dadurch die Zinsrückzahlungen nicht erwirtschaftet werden konnten, führte die hohe Kreditaufnahme in vielen Entwicklungsländern dazu, daß die Schuldenbedienung immer schwieriger wurde. In vielen Entwicklungsländern ist der Netto-Gegenwartswert der Auslandsschulden höher als das Bruttosozialprodukt. Etliche Staaten zahlen hohe Anteile ihrer Exporterlöse für den Schuldendienst (Zahlen für 1993: Marokko: 31,7 Prozent; Mexiko: 31,5 Prozent; Panama: 101,6 Prozent; Peru: 58,7 Prozent; Sambia 32,8 Prozent).
Die hohe und beständig wachsende Auslandsverschuldung zwang viele Entwicklungsländer, ihre Exporttätigkeit auszudehnen, um die notwendigen Devisen für den Schuldendienst zu erwirtschaften. Da dies viele Länder zur gleichen Zeit und oft bei gleichen Produkten taten, sanken in der Folge die Preise für die wichtigsten Exportprodukte im Agrar- und Minensektor auf historische Tiefstände. Es lag deshalb nahe, aufgrund der Kombination von ungünstigen Rahmenbedingungen - schlechte Handelschancen für Rohstoffe und Textilprodukte durch Preisverfall und Protektionismus der Industrieländer, sowie anwachsende Auslandverschuldung - von einem "Teufelskreis der Verschuldung" zu sprechen.
Seit Mitte der 80er Jahre ist es allerdings zu einer radikalen Veränderung der Diskussion über die Auswirkungen der Weltwirtschaft auf Entwicklungsländer gekommen. Die Auswirkungen externer Rahmenbedingungen auf Entwicklungsländer werden immer seltener thematisiert. In den Blick gerückt sind inzwischen vorrangig interne Verursachungsfaktoren für eine mögliche Entwicklungsblockade. Mehrere Faktoren haben mit dazu beigetragen, daß sich wieder - wie in der Nachkriegszeit - ein wirtschaftsliberaleres Entwicklungsparadigma durchsetzten konnte.
Im Rahmen der Strukturanpassungsprogramme werden Entwicklungsländer beraten, sich schnell und unverzüglich in den Weltmarkt zu integrieren, den heimischen Markt für Investitionen und Importe zu öffnen und die eigene Wirtschaft auf eine verstärkte Exportorientierung einzustellen. Insbesondere für die Länder Afrikas, die im wesentlichen von Agrar- und anderen Rohstoffexporten oder Exporten nur leicht verarbeiteter Produkte leben, kann eine solche Strategie durchaus zu Problemen führen. Die meisten Weltmarktpreise für Rohstoffe sind niedrig. Gerade im Agrarsektor ist die hochsubventionierte Agrarpolitik in den USA und der EU mit daran schuld, daß die Weltmarktpreise für wichtige Nahrungsmittelprodukte wie Getreide, Fleisch, Milchpulver, Zucker, Soja und andere sehr niedrig sind.
Bananen in Benin gelangten bisher nur auf den lokalen Markt. Nach der neuen EU-
Ordnung stammen die Früchte nicht mehr allein aus Mittelamerika. Länder
der AKP-Gruppe (Afrika, Karibik, Pazifik) dürfen sie jetzt zollfrei nach
Europa exportieren.
Die öffentliche Debatte über die Verschuldung der Dritten Welt hat in den letzten Jahren allerdings an Intensität verloren. Bei den Gipfeln der führenden sieben Industrienationen (G7) haben sich Nichtregierungsorganisationen zwar regelmäßig zu Wort gemeldet und neue Entschuldungsinitiativen besonders für die ärmsten Entwicklungsländer gefordert, doch seit die Krise zumindest für das internationale Bankensystem keine existentielle Dimension mehr besitzt - die Banken haben inzwischen durch Rückstellung von Sicherheitsbeträgen (oft steuerlich absetzbar) ihre eigene Verwundbarkeit durch nicht zurück gezahlte Kredite reduziert -, ist das Problem von den Titelseiten der Zeitungen mehr und mehr verschwunden und zu einem Spezialistenthema geworden.
Im Gegensatz zur inzwischen geringen öffentlichen Aufmerksamkeit, die es erfährt, ist das Problem hohe Auslandsverschuldung vieler Entwicklungsländer allerdings noch längst nicht gelöst. Als die Verschuldungskrise 1982 weltweit in die Schlagzeilen rückte, betrug die gesamte Auslandsverschuldung der Dritte-Welt-Länder 626 Milliarden US-Dollar. Ende 1993 war die Summe der Auslandsschulden nach Weltbank-Angaben auf über 1700 Milliarden US-Dollar angestiegen. Auch eine Analyse auf Länderebene deutet keine Entspannung an: Bei den Ländern mit niedrigem Einkommen ist der Anteil des Schuldendienstes an der Ausfuhr nach Weltbankangaben 18,8 Prozent und damit deutlich höher als die 13 Prozent, die als obere Grenze empfohlen werden. Bei einzelnen Ländern ist diese Relation noch wesentlich schlechter.
Für einige Regionen und Ländergruppen - dies gilt vor allem für Afrika - kann inzwischen teilweise von einer unfreiwilligen Abkoppelung vom Weltmarkt gesprochen werden. Der Weltmarktanteil Afrikas sinkt, die Investitionstätigkeiten gehen zurück und die Verschuldung steigt: Das gesamtwirtschaftliche Wachstum Afrikas (ohne Süd-, dafür mit Nordafrika) lag in den Jahren 1990 bis 1993 mit durchschnittlich 1,5 Prozent sogar noch unterhalb des Durchschnitts (1,8 Prozent) der oft als "verlorenes Jahrzehnt" bezeichneten 80er Jahre. Allein 1993 gingen die Exporterlöse Gesamtafrikas um 2,7 Milliarden US-Dollar auf 71,3 Milliarden zurück.
Trotz der Erholung einiger wichtiger Rohstoffpreise 1993 sanken die terms of trade für Afrika südlich der Sahara im selben Jahr nach Weltbankangaben um 9 Prozent (für die Jahre 1991 bis 1993 sogar um 20 Prozent). Diese kontinentweiten Zahlen verdecken allerdings auch erhebliche Unterschiede zwischen einzelnen Ländern und Regionen. Während die Entwicklung für Nord- und Zentralafrika besonders negativ ist, sind die Trends für West-, Ost- und Südafrika deutlich besser. Der Schuldenstand von Afrika südlich der Sahara erhöhte sich 1993 von 194,3 Milliarden US-Dollar auf 199 Milliarden US- Dollar. Der Schuldendienst sank zwar im gleichen Jahr, aber nur dadurch, daß die Zahlungsrückstände sich vergrößerten.
Auch um die Nettofinanzzuflüsse ist es nicht sehr positiv bestellt. Sie gingen allein 1992 von 22,3 Milliarden US-Dollar auf 18,4 Milliarden US-Dollar zurück. Lediglich für Afrika südlich der Sahara gab es einen leichten Zuwachs. Der Umfang der privaten Direktinvestitionen ist für die Mehrheit der afrikanischen Länder nach wie vor weitgehend unbedeutend.
Die in Teilbereichen feststellbare unfreiwillige Abkoppelung ist - da herrscht in der Wissenschaft, unter NRO und Entwicklungspraktikern weitgehend Einigkeit - zu einem großen Teil hausgemacht. Auch wenn manche Verdikte über Afrika in den letzten Jahren weit über das Ziel hinausschossen, wenn zum Beispiel von der "Herrschaft korrupter Kleptokratenregime" die Rede war, ist doch offensichtlich, daß die Schuld für die Zustände bei einer großen Zahl von Staaten bei ihnen selbst liegt. Stichworte sind: Korruption, klientelistische Wirtschaft und Politik, fehlende Rechtsstaatlichkeit, Bürgerkriege, hohe Militärausgaben oder politische Unterdrückung.
Vietnamesische Bauern bewässern ihre Reisfelder: Die Entwicklungsländer
sind die Hauptanbaugebiete für Reis. Nur ein geringer Teil der Welternte
gelangt in den internationalen Handel, 95 Prozent verbleiben als
Grundnahrungsmittel im Land.
Doch trotz des hohen Eigenverantwortungsanteils an den schlechten wirtschaftlichen Zuständen sind gerade für die ärmsten Entwicklungsländer - und der größere Teil der Länder Afrikas gehört zu dieser Gruppe - die Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft für ihre weitere Entwicklung von großer Relevanz. Selbst wenn die Welthandelsanteile sehr niedrig erscheinen, sind die dort erwirtschafteten realen Summen - und sind sie noch so klein - für diese Länder außerordentlich wichtig. Erstaunlicherweise sind nun aber gerade für diese Ländergruppe die meisten Handelshemmnisse festzustellen und die geringsten Verbesserungen in Sicht. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Handel mit Rohstoffen, etwa im Agrarbereich, und der Handel mit Textilien und Bekleidung. Gerade in diesen beiden Bereichen ist der Marktzugang auf Industrieländermärkte am schwierigsten, und in der Uruguay-Runde des GATT konnten hier die wenigsten Erleichterungen erreicht werden.
Die gemeinsame Agrarpolitik der EU verhindert weitgehend den Verkauf von Agrarprodukten auf dem europäischen Markt. Im Gegenteil: Die EU vermarktet selbst weltweit ihre eigenen Überschüsse aggressiv mit Exportsubventionen, und darum sind die meisten Weltmarktpreise für Nahrungsmittel sehr niedrig. Dies trifft einerseits die ärmsten Entwicklungsländer, da sie für ihre eigenen Exporte keine nennenswerten Einnahmen auf dem Weltmarkt erzielen können. Aber es trifft in diesen Ländern auch die landwirtschaftlichen Erzeuger, die ausschließlich für den Binnenmarkt produzieren. Auch sie können oft nicht mehr mit den subventionierten europäischen Niedrigpreisen konkurrieren.
Einen besseren Marktzugang gibt es für die traditionellen Kolonialwaren, die in Europa nicht selber angebaut werden können. Doch diese Märkte sind mit strukturellen Überschüssen überlastet, da viele Entwicklungsländer versuchen, durch Exportausdehnung in diesem Bereich ihre Deviseneinnahmen zu vergrößern. Als Ausweg erscheint derzeit in mehr und mehr Ländern die Möglichkeit, auf neue "innovative" Produkte im Agrarbereich umzusteigen, wie Gartenbauprodukte, Schnittblumen oder Garnelenproduktion. Doch auch diese Märkte werden schnell eng, da viele Länder zur gleichen Zeit dieselbe Strategie verfolgen.
Die Uruguay-Runde brachte für viele dieser Probleme kaum eine zufriedenstellende Lösung. Zwar müssen die Industrieländer ihre Märkte in Zukunft um bis zu 5 Prozent öffnen und haben sich verpflichtet, ihre Exportsubventionen um 21 Prozent in der Menge und um 36 Prozent im Wert abzusenken. Ein erster Schritt ist dies gewiß, zu wenig allerdings, um zu einer wirklichen Erholung der Weltmarktpreise beizutragen.
Neben dem Agrarsektor gehört der Textil- und Bekleidungssektor zum bestgeschützten Wirtschaftsbereich. Als Anfang der 70er Jahre die Textilbranche in den Industrieländern eine zunehmende Konkurrenz vor allem in der Bekleidungsindustrie durch billige Produktion aus Schwellenländern spürte, wurde 1974 ein Multifaserabkommen abgeschlossen, wobei Export- und Importquoten festgelegt wurden. Ziel des Abkommens war, der bedrohten Branche in den Industrieländern Zeit zur Anpassung zu geben. Erst 1994 - nach 20 Jahren - konnte mit Abschluß der Uruguay-Runde eine Einigung erreicht werden, dieses Abkommen innerhalb der nächsten zehn Jahre auslaufen zu lassen.
Im Textil- und Bekleidungsbereich existieren zudem nach wie vor die höchsten Zollsätze. Der Durchschnittszollsatz der EU für verarbeitete Waren liegt nach der Uruguay-Runde bei rund 3,8 Prozent, der für Bekleidung bei 11,7 Prozent. Daß dadurch vor allem Entwicklungsländerimporte diskriminiert werden, zeigt die regionale Differenzierung: Durch ihre Exportstruktur sind Entwicklungsländer häufiger von den Hochzollsätzen der EU betroffen als andere Ländergruppen. Der Anteil der Hochzollimporte an allen Importen beträgt für alle Länder außerhalb der EU weniger als 25 Prozent, für die AKP-Staaten rund 40 Prozent und für Entwicklungsländer in Süd- und Südostasien bis zu 60 Prozent.
Die Feldarbeit im äthiopischen Semien-Gebirge ist mühsam; 73 Prozent der
Bevölkerung leben von der Landwirtschaft, diese Produkte sind die
Hauptausfuhrgüter des Landes. Die Preise auf dem Weltmarkt sind niedrig, denn
die EU vermarktet ihre Überschüsse aggressiv mit Exportsubventionen,
konkurriert mit Dumping-Preisen.
Zwar haben viele der ärmsten Entwicklungsländer einen präferenziellen Marktzugang, doch auch in den Präferenzabkommen sind Fallstricke enthalten. Zum einen müssen die Entwicklungsländer einen relativ hohen Anteil eigener Wertschöpfung am Produkt nachweisen, um in den Genuß der Präferenzen kommen zu können, was bei Textilien oft schwer ist, wenn zum Beispiel die Baumwolle oder die Textilfarben importiert werden, zum anderen enthalten die Abkommen immer eine Schutzklausel: Wenn die EU der Meinung ist, daß es in einem Sektor zu schwerwiegenden Anpassungsproblemen in der EU kommt, kann sie die gewährten Präferenzen unter bestimmten Bedingungen wieder entziehen.
Die Ergebnisse der Uruguay-Runde enthalten ein zusätzliches Problem für Entwicklungsländer mit Präferenzabkommen. Da in dieser achten Verhandlungsrunde des GATT eine allgemeine Zollsenkung von durchschnittlich 37 Prozent für verarbeitete Produkte erreicht werden konnte, sind die Zölle für viele Produkte so niedrig, daß die den Entwicklungsländern ursprünglich gewährten Präferenzen im Rahmen des Allgemeinen Präferenzsystems und des Lomé-Abkommens inzwischen an Bedeutung verlieren.
Die Tatsache, daß gerade die afrikanischen Länder von den bisherigen Präferenzen wenig Gebrauch machen konnten und sich eher südostasiatische und lateinamerikanische Länder durchsetzten, denen diese Präferenzen nicht im gleichen Umfang zustanden, macht zugleich deutlich, wie groß der Einfluß interner Bedingungen für Erfolg oder Mißerfolg im Welthandel sind.
In der Verschuldungskrise werden die Anliegen der ärmsten Entwicklungsländer von der entwickelten Welt nicht zureichend berücksichtigt. Für diese Länder ist oft der Anteil der öffentlichen bilateralen und multilateralen Schulden - Schulden durch Entwicklungshilfekredite einzelner Länder oder internationaler Entwicklungsbanken wie der Weltbank - besonders hoch. Doch bislang erwies es sich als sehr schwierig, über mögliche Entschuldungen bei multilateralen Schulden überhaupt nur zu sprechen. Sehr schwer taten sich die Industrieländer zuletzt zudem bei der Frage, ob die Kreditvergabemöglichkeit der Weltbanktochter IDA - sie gewährt Kredite an die ärmsten Länder - unter besonders günstigen (weichen) Konditionen vergrößert werden sollen; eine Forderung, die die Weltbank selbst formuliert hat. Eine Einigung konnte bislang nicht erreicht werden. Die deutsche Bundesregierung hat bei den Haushaltsberatungen für 1996 sogar ihren IDA- Anteil um 58 Millionen DM gekürzt und dabei auf den gestiegenen DM-Kurs gegenüber dem US-Dollar verwiesen.
Dies entspricht dem generellen gegenwärtigen Trend in den meisten Industrieländern, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit zu kürzen. Der bundesdeutsche Ansatz für Mittel der Entwicklungszusammenarbeit wird 1996 einen neuen Tiefststand erreichen. Selbst für Afrika südlich der Sahara bedeutet, die schwindende Bereitschaft zu Finanztransfers, daß in den letzten zwei Jahren die öffentlichen Entwicklungshilfegelder stark zurückgegangen sind. Auch der Lomé- Vertrag der EU, gerade noch einmal bis zum Jahr 2000 verlängert, soll anschließend auslaufen.
Noch weit entfernt ist die EU von einer Zielsetzung des Maastrichter Vertrages: Dort wurde festgelegt, daß eine Kohärenz zwischen entwicklungspolitischen und anderen für Entwicklungsländer relevanten Politikbereichen erreicht werden sollte.
Michael Windfuhr ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg und arbeitet im internationalen Sekretariat der Menschenrechtsorganisation FIAN.
Quelle: Spektrum der Wissenschaft - Dossier: Dritte Welt - Januar 1996
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