Servir - damit Kinder leben können

 Spenden aus Deutschland helfen
 Die Babies haben es uns angetan


Schüler und Schülerinnen des Gymnasiums "Maria Königin" haben im Sommer vorigen Jahres Brasilien besucht. In der Stadt Januaria halfen die Schülerinnen in der Kindertagesstätte Servir. Was es mit Servir auf sich hat und wie es ihnen bei ihrem Besuch erging, erzählen sie in diesem Bericht.

Von Werner Liesmann

Wir haben während unseres zweiwöchigen Aufenthaltes in Januaria einen tiefen Einblick hinter die Kulissen der brasilianischen Lebensweise gewonnen. Ein Kloster, dessen Bewohnerinnen gerade im Urlaub gefahren waren, wurde unser Zuhause. Eine kleine Schwester namens Diomar war daheim geblieben und hocherfreut, uns bemuttern zu dürfen, wie eine Glucke ihre Küken. Stolz stellte sie uns all ihren vielen Freunden, Bekannten und Verwandten vor. Besuch aus Deutschland ist schließlich etwas ganz Außergewöhnliches. Doch auch für uns waren diese Zusammentreffen mit den Einheimischen etwas ganz Besonderes. Von ihrer ausgesprochenen Gastfreundlichkeit können wir bestimmt noch etwas lernen ...

Mit Händen und Füßen versuchten wir uns zu verständigen, mit der Zeit klappte dies auch immer besser. Die Brasilianer selbst verbinden dies mit einem guten Essen das aus Hühnchen oder Fleisch vom Schwein und einem kühlen "Cerveja" (Bier) besteht. Offensichtlich nutzen die Brasilianer jeden noch so kleinen Anlaß um sich zusammenzusetzen und ein Fest zu feiern.

Doch unsere Reise sollte ja nicht nur aus purem Vergnügen bestehen, vielmehr war es unser Ziel, Servir kennenzulernen, dort ein wenig Hand anzulegen und vor allem Informationen für die Menschen aus Deutschland zu sammeln, die sich schon jahrelang um das Projekt verdient gemacht haben.


Spenden aus Deutschland helfen

Servir ist eine Kindertagesstätte im Herzen von Januaria. Jeden Tag kommen etwa 400 Kinder aus ärmlichen Verhältnissen hierher. Sie erhalten täglich mehrere warme Mahlzeiten und lernen vor allem praktische Dinge wie Nähen, Anbau von Gemüse und handwerkliche Fertigkeiten, die ihnen in ihrem späteren Leben von Nutzen sein werden. Überlebenstraining, denn dem Teufelskreis, in dem ihre Familien seit Generationen gefangen sind, können auch diese Kinder nur schwer entrinnen. Mangelnde bis gar keine Schulbildung hat schon den Eltern keine Chance gelassen, einen ordentlichen Beruf zu ergreifen. Sie werden zu Tagelöhnern, nehmen jeden Gelegenheitsjob an, der sich ihnen bietet. Doch oftmals reicht das Geld nicht aus, um die eigene Familie zu ernähren. Und diese Familien umfassen nicht wie in Deutschland nur ein bis zwei Kinder, nein in den meisten Fällen sind es acht bis zehn hungrige Mäuler, die es zu stopfen gilt.

Bild 1 Eine besondere Erfahrung, einmal ein brasilianisches Baby auf dem Arm halten zu dürfen

Ein ewiger Kreislauf: Verdienen die Eltern nicht genug, dann müssen die Kleinen auch mit anpacken. Sie verkaufen Obst, Teigwaren, Tand und vieles mehr, stehen oft stundenlang an Straßenecken und preisen lauthals ihre Ware an, in der Hoffnung mit ein paar Pfennigen selbst verdientem Geld zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen. In dieser Zeit versäumen sie aber den für sie so wichtigen Unterricht in der Schule und gehen als Analphabeten genau dem gleichen Schicksal wie ihre Eltern entgegen.

Genau dagegen möchte Servir ankämpfen, denn auch diese Kinder haben eine faire Chance verdient. Die Familien werden entlastet, indem die Kinder in Servir tagsüber mit Essen versorgt werden und auch ab und zu von Kleiderspenden profitieren.

Eine wichtige Aufgabe sieht Servir in einer Ausbildung der Schutzbefohlenen. Die Kinder erlernen Fertigkeiten in der hauseigenen Näherei, in der Küche, sowie in der Landwirtschaft und werden auf mögliche spätere Berufe vorbereitet. Der Garten hat gerade erst eine Sprinkleranlage erhalten, die von einem neu gebauten Brunnen versorgt wird. Voller Stolz wird uns diese neue Errungenschaft gezeigt. Mit Hilfe des lebensnotwendigen Wassers kann nun auch in der Trockenzeit von Mai bis Oktober Obst und Gemüse angebaut werden. Eine große Erleichterung für Servir.

Dank der vielen eingehenden Spendengelder aus Deutschland ist zur Zeit auch eine Bäckerei in Planung. Sie soll zukünftig Servir mit Brot versorgen und auch weitere Ausbildungsplätze für die Jugendlichen schaffen.

Jeder Tag begann für uns mit einem reichhaltigen Frühstück in Servir. Es war uns schon fast peinlich, wie sehr man uns zu verwöhnen versuchte. Vor allem wollten wir nicht, daß das die Kinder von Servir mitbekamen. Doch so oft dies auch passierte, es störte sie nicht. Diese kleinen Wesen mit ihren schwarzen Krausköpfen und ihren großen dunklen, neugierigen Augen hatten uns vom ersten Tag an in ihr Herz geschlossen, wie auch wir sie liebgewonnen haben.

Bild 2 Eins von vierhundert Kindern, die im Servir ein warmes Mittagessen bekommen

Diese Kinder unterscheidet etwas Wesentliches von den Kindern hier in Europa: Obwohl sie so gut wie nichts besitzen, oftmals ums Überleben kämpfen, strahlen sie dennoch eine Lebensfreude aus, die man bei uns auf den Kindergesichtern nur allzu selten findet. Begeistert sind sie von allen Dingen, die sie nicht kennen. So hatten es ihnen unsere Armbanduhren und Fotoapparate sichtlich angetan und wurden neugierig beäugt. Der Stolz stand ihnen im Gesicht geschrieben, als sie sogar selbst einmal den Auslöser betätigen durften. Die Ergebnisse, leicht verwackelte Fotos mit abgeschnittenen Beinen, erinnern uns heute noch an die schöne Zeit mit den süßen Kleinen.

Tagtäglich waren wir mit ihnen zusammen. Neben der Essensausgabe verbrachten wir viel Zeit, mit den Kindern zu spielen. Lauthals sangen wir zusammen deutsche und brasilianische Kinderlieder und brachten ihnen Spiele, wie "Zuzwinkern" oder "Plumpssack" bei. Im Gegenzug sollten wir ein paar Brasilianische lernen. Es klappte zwar nur sehr schlecht, aber Spaß hatten wir allemal.

Ein alltägliches Ritual ist in Servir das Duschen. Jeden Tag wird eine bestimmte Anzahl von Kindern unter die Duschen gestellt, wo sie sich von oben bis unten abseifen. Das Haare waschen spielt dabei eine besondere Rolle, denn in den Verhältnissen, in denen die Kinder zu Hause sind, sind Läuse an der Tagesordnung. Die Kinder lieben das kalte Wasser, bei 35°C Hitze! Zeit für eine Wasserschlacht...


Die Babies haben es uns angetan

Neben Servir haben wir noch in einem anderen Projekt namens "Pequeno Davi" gearbeitet. Das ist eine Säuglingsstation, in der unterernährte Kinder bis zum Alter von drei Jahren aufgepäppelt und medizinisch versorgt werden. Anschließend kommen sie zurück in ihre Familien, in denen unterdessen die Schwestern, die Leiterinnen von "Pequeno Davi", wichtige Aufklärungsarbeit betrieben haben. Den Eltern muß gezeigt werden, wie und mit welchen Nahrungsmitteln die Kleinen versorgt werden müssen. Ist die Familie mittellos, sorgen die Schwestern sogar für Lebensmittelspenden. Ein junges Projekt mit Zukunft, welches aber durch die begrenzten Mittel immer wieder an seine Grenzen stößt.

Uns hatten es die Babies natürlich sofort angetan. Unsere Arbeit bestand im Wickeln, Füttern und einfach den Kleinen Aufmerksamkeit schenken. Doch für uns war das viel mehr ein Vergnügen und die Zeit, bis die Kinder ins Bett mußten, verging uns viel zu schnell.

Bild 3 Mit der Hilfe der großen Schwester ißt es sich leichter

Eine interessante Erfahrung, die wir in Januaria noch machten, waren die Kapellenfahrten. Gemeinsam mit Pater Alfonso Mühr (einer der Patres der Heiligen Familie in Januaria) fuhren wir einige Male mit dem Jeep auf endlosen roten Sandpisten (mit jeder Menge Schlaglöchern ausgestattet) hinaus in die Pampa, zu entlegenen Gemeinden, um dort Messe zu feiern.

Alle drei bis vier Monate, in weit entfernten Dörfern sogar nur ein oder zwei Mal im Jahr, fahren Patres dorthin, um Beichten abzunehmen, zu trauen und um immer wieder eine ganze Schar neugeborener Kinder zu taufen. Für die Dorfbewohner ist das jedesmal ein großes Ereignis, bei dem keiner fehlen darf.

Dort im Urwald, etwa 70 km entfernt von Januaria, begegneten wir Menschen, die in ihrem Leben noch nie Kontakt mit Ausländern bzw. Touristen gehabt haben. Menschen, die nur ihr Dorf kennen, für die ihre Gemeinde die ganze Welt ist.

Bei unserer Ankunft reagierten sie mit einer Mischung aus Neugierde und gesundem Mißtrauen, eine interessante Beobachtung für uns. Doch nichts desto trotz wurden wir auch hier nach den Messen immer aufs herzlichste zum Essen eingeladen.

Bild 4 Essensausgabe im Speiseraum von Servir

Jedesmal war der Tisch reich gedeckt mit den so typischen braunen Bohnen und Reis. Aber auch Nudeln, Rohkostsalate und vor allem Hühnchen wurden gerne angeboten, sofern sich der Gastgeber dies leisten konnte. Und wehe, wenn wir nicht kräftig zulangten, eine Enttäuschung für die Brasilianer.

Doch nicht nur mit dem Jeep haben wir Touren gemacht, um etwas von Land und Leuten kennenzulernen. Nein, viel lieber haben wir oben auf der Ladefläche eines Kleinlasters gesessen, wo wir den Fahrtwind und die Sonne genießen konnten. Selbst der Staub, unser größter Feind, konnte uns die gute Laune nicht verderben. Auf diese Weise haben wir einmal gemeinsam mit den Kindern einen Ausflug zu einer Plantage gemacht und Orangen gepflückt - eine Spende des Großgrundbesitzers dieser Fassenda. Natürlich wurde es nicht versäumt, uns die Plantage zu zeigen. Niemand von uns hatte jemals Zuckerrohr probiert, und wer weiß schon , wie man daraus den guten Caçassa (Zuckerrohrschnaps) gewinnt. Für uns war das alles neu und sehr interessant.

Neben der puren Begeisterung gab es aber auch einiges, was uns erschreckte. Brasilien, ein Land aus lauter krassen Gegensätzen.

Auf der einen Seite die nicht zu übersehende Armut, wir haben Menschen gesehen, ja ganze Familien, die in Zelten leben, denen Plastikfolien als Schutz vor Sonne und Regen dienen, die nicht wissen, von was sie morgen satt werden. Auf der anderen Seite lernten wir die Herzlichkeit der Brasilianer kennen, die nichts von ihren Sorgen durchschimmern läßt, wo gefeiert wird, wann immer es etwas zu feiern gibt, wo das Jetzt und das Hier zählt, wo der Nächste dein Freund ist -ein reiches Land!

Bild 5 Den Kleinen schmeckt's, wie man sieht


Werner Liesmann ist Vorstandsvorsitzender des Servir e.V.


Quelle: Sendbote - Zeitschrift der Missionare der Heiligen Familie - Juni 1996


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