Pressespiegel

Schon Kinder sind voll im Drogengeschäft

Besuch in den Favelas in Rio

Von Werner Liesmann

Lennestadt/Januaria. (WP) Eine Gruppe Schüler des Gymnasiums Maria Königin besuchte die Städte Januaria und Rio in Brasilien. In der WP schildern die Schüler ihre Reiseeindrücke:

"Besuch in einer Favela. Die letzte Etappe der Reise ist angebrochen. Nur noch eine kleine Restgruppe von 6 Personen hat sich vorgenommen Einblicke in die wohl dunkelste Seite Brasiliens zu gewinnen - das Leben in den Favelas, den Elendsvierteln der Städte. Der Kontakt zu Betsi, einer Bekannten aus früheren Besuchen in Rio, die ihr ganzes Leben in einer Favela gelebt hat, ist schnell hergestellt. An einem verregneten Sonntag Morgen lädt sie uns ein, um uns durch ihre Favela zu führen. Wir lassen die Video Kamera im Hotel, denn Aufnahmen sind bei diesem Wetter unmöglich.

Bild1 Zum Ende der Reise besuchten die Schüler die Favelas in Rio, die Elendsviertel der Metropole.

Fortschritte

Völlig durchnässt steigen wir die steilen Treppen der Favela hoch. Neben uns rauscht ein offener Abwasserkanal, dessen Geruch uns ahnen läßt, wie sich die Menschen hier fühlen müssen. Immerhin, bei unserem ersten Besuch war der Kanal noch nicht betoniert. Fortschritte sind zu sehen, wo immer man hinschaut. Holzhütten findet man nur noch wenige.

Gestapelte Häuser

Kleine unverputzte Ziegelhäuser, vielleicht 6x6m im Grundriß stapeln sich wie Nistkästen den steilen Hügel hoch. Wo die Familie wächst und das Geld reicht, wird einfach ein zweites Stockwerk aufgesetzt. Gewagte Konstruktionen, die dem Europäer Angst einflößen. Riesige Satelliten Schüsseln, 2m im Durchmesser, prägen das Bild. Wer immer es sich leisten kann hat einen Fernseher. Rund 150 DM kostet die Empfangsanlage.

24 Stunden TV

Auch Betsi besitzt einen solche. Als wir Ihre Hütte betreten, schauen Armanda ihre älteste Tochter und Leonardo ihr jüngster Sohn gerade eine Werbesendung. Einen Ausschaltknopf, das haben wir schon früher gelernt, kennen brasilianische Fernsehgeräte nicht. Betsi ist eine bewundernswerte Frau. Stein für Stein ihres bescheidenen Heims hat sie sich vom knappen Lohn absparen müssen. Inzwischen besitzt das Haus sogar eine Küche mit Kühlschrank und Herd und, das gab es beim letzten Besuch noch nicht, einen kleinen Raum mit Dusche. Die Fliesen, jeden Monat kommen einige hinzu, legt sie mit ihrem ältesten Sohn selbst. Von ihrem Mann hat sie sich vor zwei Jahren scheiden lassen, Probleme mit Alkohol und Gewalt gegenüber der Familie waren der Grund. Jetzt fühlt sie sich frei und kann sich ganz ihren drei Kindern widmen. Alles Geld, was sie von 350 DM Gehalt als Sozialarbeiterin in einer Kindertagesstätte erübrigen kann, steckt sie in die Ausbildung der Kinder. Ihr ältester Sohn arbeitet bei der Stadt in einem Referat, das für die Verbesserung der Lebenssituation in den Favelas zuständig ist.

Bild2 Schnell war der Kontakt der Sauerländer zu den Bewohnern hergestellt.

Erst bei unserem zweiten Besuch in der Favela ist das Wetter so, das wir filmen können. Normaler weise wird in allen Reiseführern dringend davon abgeraten, in Favelas zu filmen. Wir vertrauen auf Betsi, sie ist einen angesehene Person in ihrer Favela, und wagen es trotzdem. Motive gibt es genug. Schon auf dem Wege dorthin entdecken wir eine Horde Schweine, die sich auf einer gepflasterten Straße über den Inhalt von Müllsäcken hermachen, die an Autos abgestellt wurden. Langsam steigen wir den Hügel hoch. Überall schauen Menschen aus den schmalen Fenstern ihrer Häuser. Neugierig werden wir beobachtet.

Wir besuchen eine Kinderkrippe, die von der Kirche getragen wird. Rührig bemühen sich zwei angestellte Erzieherinnen um die ihnen anvertrauten. Eine Gruppe lernt gerade im Kreise sitzend die Namen der Farben. Für die regelmäßige Ernährung sorgt eine Köchin, die auf einem kleinen Herd in der Küche das Mittagessen für die Kleinen zubereitet. Sie möchte sich zu unserem Bedauern nicht filmen lassen. Also verzichten wir darauf.

Drogen-Kinder

Je höher wir die Favela hochsteigen um so mehr weitet sich die Sicht. Auf den flachen Dächern der Häuser stehen Jugendliche, die ihre kleinen Drachen steigen lassen. Kaum vorzustellen, dass vielleicht der ein oder andere von ihnen zu einem Wachposten von Drogenhändlern gehört. Aber das ist nicht selten der Fall. Kinder sind voll in das Drogengeschäft integriert und wenn sie nicht mehr funktionieren, dann werden sie kurzerhand umgebracht. Ich verdränge diese Gedanken, denn die Teleeinstellung der Kamera zeigt fröhlich lächelnde Kinder, die mit stetigem auf und ab der Hände den Drachen am anderen Ende der Schnur in immer luftigere Höhen treiben. Der Besuch in der Favela wird je beendet, als Betsi erfährt, dass Polizei in die Favela vordringt."

Quelle: Westfalenpost - 10. August 2000

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