Pressespiegel

Lennestädter "Servir-Helfer" erlebten Brasilien hautnah

Sechs Mädchen, vier Jungs und ein Lehrer des Arbeitskreises Servir vom Lennestädter Gymnasium "Maria Königin" konnten sich direkt in Brasilien davon überzeugen, welche Arbeit in der Servir-Kindertagesstätte geleistet wird. Während die Mädchen in der Tagesstätte mit anpackten; bauten die Jungs auf einer Insel im Rio "São Francisco" ein Haus für Maniokmühlen. Für die WR berichtet "Servir- Mitglied" Heike Friederichs vom Aufenthalt in Brasilien.

Von Heike Friederichs

Rio im Regen. Die Stadt sieht bei unserer Ankunft noch trostloser aus, als sie es ohnehin schon ist. Eine Favela neben der anderen säumt die Straße auf dem Weg zu unserem Hotel. Unter Brücken, in Blechbaracken, Pappkartons und in den entlegensten Hauswinkeln leben Menschen unter Bedingungen, die man bei uns als unmenschlich bezeichnen würde. Die Gegensätze dieser 5-Millionen- Metropole sind krass Direkt neben den Favelas, den Armenvierteln, türmen sich Hotels der Superlative.

Hinter Fassade geschaut

Im warmen Licht der Sonne erscheinen die Hänge der Favelas friedlich, doch hinter der Fassade verbergen sich trostlose Baracken, Dreck und Kot - Zustände wie es sich keiner vorstellen kann. Wer mit eigenen Augen diese Lebensumstände sieht, ist schockiert. Wie können da noch Menschen leben? Nicht ganz so hoffnungslos und erbärmlich sieht es im Landesinneren aus Januaria, eine Stadt 1200 Kilometer nördlich von Rio de Janeiro, ist unser Ziel. Die Leute leben hier sehr bescheiden, geben sich mit dem zufrieden, was sie haben und sind damit glücklich. Aber auch hier gibt es die Favelas, wo Menschen in Hütten aus Plastikfolie leben. Diejenigen, die am meisten unter diesen Verhältnissen leiden, sind Kinder. Unterernährung, Krankheiten wegen unzureichender Hygiene, mangelnde Schulbildung. Das sind nur drei von vielen möglichen Folgen. Um dagegen anzukämpfen, wurde 1972 Servir gegründet. Die Kindertagesstätte ermöglicht 400 Straßenkindern im Alter von zwei bis 16 Jahren, wenigstens zweimal am Tag etwas zu Essen zu bekommen. Neben den warmen Mahlzeiten wird in Servir aber auch dafür gesorgt, daß die Kinder unterrichtet werden.

Bäckerei in der Planung

Dabei geht es nicht allein im die Vermittlung von Schulstoff, sondern vor allem darum, daß sich die Kinder in der Küche, der hauseigenen Näherei und in der Landwirtschaft Fähigkeiten aneignen, die ihnen in ihrem späteren Leben von Nutzen sein sollen. Mit Hilfe finanzieller Mittel aus Lennestadt ist in Servir auch eine Bäckerei in Planung, die neben der Ausbildung von Jugendlichen auch die Versorgung mit Brot für Servir übernehmen wird.

Die Jungen unserer Reisegruppe, die ein Haus für Maniokmühlen bauten, waren n einem kleinen Dorf in Zelten untergebracht. Einheimische kochten für sie, und so lernten sie durch den ständigen Kontakt deren Lebensweise kennen. Wir Mädchen hingegen haben zwei Wochen direkt im Servir-Projekt gearbeitet. Essensausgabe, Küchenarbeit, Waschen und Duschen der Kinder und vor allem Beschäftigung mit den Kindern gehörten zu unseren täglichen Aufgabe. Die Kinder hätten uns vom ersten Tag an in ihr Herz geschlossen. So hatten wir auch viel Freude daran, mit ihnen zu singen und ihnen ein paar neue Spiele beizubringen.

Servir braucht weiter Unterstützung

Der Abschied ist uns nicht leicht gefallen. Wir waren beeindruckt von den Fortschritten, die Servir in den letzten Jahren gemacht hat und sind der festen Überzeugung, daß sich unsere Mühe und unser Einsatz in Deutschland, auch dank der Spendenbereitschaft, gelohnt hat und weiterhin lohnen wird. Eine Hand voll Kinder hat hier eine Überlebenschance. Ein weiteres Projekt, das vom Arbeitskreis Servir unterstützt wird und in dem wir Mädchen auch gearbeitet haben, ist die Säuglingsstation Pequeno David. Hier werden unterernährte und verwahrloste Kleinkinder im Alter bis drei Jahren aufgezogen und medizinisch betreut, bis sie gesund und kräftig genug sein, zu ihren Familien zurückzukehren.

Unsere Arbeit in Brasilien gab uns einen tiefen Einblick hinter die Kulissen. Wir konnten den Einheimischen zeigen, wie wichtig uns auch heute noch ihre Projekte sind. Sie können auch weiterhin mit unserer Unterstützung rechnen. Allerdings mußten wir auch erkennen, daß unser Projekt Servir in Anbetracht des Elendes und der Armut innerhalb der Bevölkerung Brasiliens nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Brasilien, Land vieler Bodenschätze, riesiger Haziendas mit großen Rinderherden, Land des größten Urwaldes der Erde, ein reiches Land, so sollte man meinen. Doch die hohe Verschuldung des Landes und damit seine Abhängigkeit sorgen dafür, daß Verarmung und soziale Mißstände das tägliche Leben prägen. Ein paar wenigen obliegt es, den Reichtum Brasiliens zu nutzen. Der Großteil lebt unter der Armutsgrenze, in einem scheinbar nicht zu entrinnenden Teufelskreis.

Keine Chance für Kinder

Den meisten Kinder wird somit keine Chance für eine Schulausbildung und eine gute Arbeit gelassen. Aufgrund der hohen Arbeitslosenquote und der vielen Kinder, die in einer Familie zu ernähren sind, ergreifen Väter verzweifelt die Flucht in die größeren Städte. Viele Kinder haben in Servir ein zweites Zuhause gefunden. Um diesen Kindern eine Perspektive geben zu können und zu verhindern, daß sie in die Städte abwandern und in Favelas landen; wurde 1982 das Projekt mit Hilfe finanzieller Mittel aus Lennestadt ins Leben gerufen. Jahrelang waren es allein Gelder aus Deutschland, die dafür sorgten, daß Servir sich zunehmend vergrößerte und immer mehr Kinder aufnehmen konnte. Heute ist man in Januaria sehr stolz darauf, daß der Erlös eines zugunsten Servir stattfindenden Festes im August das Projekt fünf Monate lang allein unterhalten kann. Die restlichen sieben Monate werden zu 70 Prozent aus deutschen Mitteln und zu 30 Prozent aus Spenden und Beiträgen ortsansässiger; wohlhabender Familien finanziert. Dennoch, Servir braucht auch weiterhin aktive Unterstützung. Bei 400 Straßenkindern, die an 22 Tagen im Monat versorgt werden, benötigt das Projekt im Monat etwa 15 000 Mark. Pro Kind steht damit jeden Tag ein Betrag von 1,50 Mark zur Ernährung zur Verfügung, und das ist auch in Brasilien nicht sehr viel.

Quelle: Westfälische Rundschau - 11. August 1995

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