"Das Wohl des Kindes" - Menschenrechte und die Jugendgerichtsbarkeit

 Gefährdete Kinder
 Kinderrechte
 Internationale Prinzipien des Jugendstrafrechts
 Eine Frage des Alters
 Unterlassener Schutz
 Verbotene Strafen: z. Bsp. Todesstrafe
 Gerechtigkeit - das Recht jeden Kindes
 Empfehlungen von Amnesty International an die Regierungen


"In vielen Ländern sind Kinder dem Zorn des Gesetzes ausgesetzt, weil sie das 'Verbrechen' begangen haben, arm, vernachlässigt oder mißhandelt zu sein. Ungeachtet der Gründe für ihre Vergehen steht jungen Menschen eine faire Behandlung innerhalb einer besonderen Jugendgerichtsbarkeit zu, die dazu bestimmt ist, den Kindern bei der schnellstmöglichen Rückkehr in die Gesellschaft zu helfen." - Lisbet Palme "Kein Alter der Unschuld: Recht für Kinder", Der Fortschritt der Nationen, UNICEF 1997

Von Branko Stahl

Kinder, die Gewaltverbrechen begehen, machen Schlagzeilen. Ihre Taten scheinen all dem zuwider zu laufen, was die Kindheit ausmacht. In den letzten Jahren haben sich das Erschrecken und die Empörung der Öffentlichkeit über Gewalttaten von Kindern zunehmend im Ruf nach härterer Bestrafung geäußert, um auf diese Weise die scheinbar drohende Gefahr einer steigenden Jugendkriminalität zu beenden.

Was weit weniger Aufmerksamkeit erhält, ist die Art und Weise, wie die Gerichtsbarkeit auf der ganzen Welt die grundlegenden Menschenrechte von Kindern verletzt, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Kinder werden im Polizeigewahrsam gefoltert und mißhandelt. Sie werden unter inhumanen und erniedrigenden Bedingungen in Gefängnissen festgehalten. Ihnen wird ein ordnungsgemäßes Verfahren vorenthalten, das ihnen eine faire Gerichtsverhandlung garantieren sollte. Sie werden zu Strafen verurteilt, welche gegen die Schlüsselprinzipien der Gerichtsbarkeit für Jugendliche verstoßen, nämlich Rehabilitation und das Primat des Kindeswohls.

Bild 1 Kind in nepalesischer Haft © CWIN


Gefährdete Kinder

Die meisten Kinder, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten, tun dies aufgrund geringfügiger, gewaltfreier Vergehen und in einigen Fällen ist ihr einziges "Verbrechen", daß sie arm, obdachlos und benachteiligt sind. Faktoren wie Armut, ethnische Zugehörigkeit und Geschlecht verschärfen noch die Wehrlosigkeit der Kinder gegenüber Übergriffen durch die Behörden.

Edith (Name geändert) ist eine 13-jährige australische Ureinwohnerin, die im Nord-Territorium Australiens lebt. Im Jahre 1997 wurde sie im Alter von 12 Jahren festgenommen; sie hatte für sich selbst und andere vernachlässigte und von ihr versorgte Kinder - unter ihnen auch ein Baby - Nahrung gestohlen. Nachdem sie über Nacht in einer örtlichen Polizeistation in einer Zelle für Erwachsene festgehalten wurde, ließ man sie unter Auflagen frei. Edith verstieß gegen diese Auflagen, indem sie fortlief, um das Baby im Krankenhaus zu besuchen und ihre Familie zu sehen; daraufhin wurde sie erneut festgenommen und zu einer Gefängnisstrafe von 21 Tage in einem 1500 Kilometer von ihrem Heimatort entfernten Jugendgefängnis verurteilt. Ediths Fall veranlaßte die Wohlfahrtsbehörden dazu, ihre Familie mit Lebensmitteln zu versorgen. Obwohl die Kinder des Nord-Territoriums nur zu einem Drittel der Gruppe der Ureinwohnern angehören, stellen Kinder der Aboriginals dennoch ca. 90% der Jugendlichen, die in Strafanstalten einsitzen.

Kinder, die dazu gezwungen sind, auf der Straße zu leben, sind in besonderem Ausmaß willkürlichen Verhaftungen und Mißhandlungen ausgesetzt. Ihre Armut bringt sie mit dem Gesetz in Konflikt, da sie, um zu überleben, zum Betteln, zur Kleinkriminalität oder zur Prostitution gezwungen sind. Einige von ihnen werden verhaftet, weil es Gesetze gibt, die Verelendung, Nichtseßhaftigkeit und Betteln zu kriminellen Handlungen erklären. Andere werden einfach deswegen festgenommen und mißhandelt, weil sie leichte Beute sind.

Rajesh, ein 14-Jähriger, der sich mit Lumpensammeln den Lebensunterhalt verdient, wurde im Mai 1996 in Trivandrum, im indischen Bundesstaat Kerala, von mehreren Polizisten in einen Jeep gezerrt. Gründe für seine Festnahme wurden nicht genannt. Wie verlautet, durchstachen die Polizisten seine Fingernägel mit Nadeln, schlugen ihn mit dem Kopf gegen die Wand, zwangen ihn über lange Zeiträume auf einem vorgestellten Stuhl zu sitzen und schlugen ihn auf die Fußsohlen. Die Polizei bestritt, daß sich Rajesh in ihrem Gewahrsam befände und überstellte ihn verschiedenen Polizeistationen, um seinen Aufenthaltsort zu verschleiern. Als er schließlich am 10. Juni auf Kaution freigelassen wurde, mußte er sich wegen der ihm im Polizeigewahrsam zugefügten Verletzungen einer Behandlung im Krankenhaus unterziehen. amnesty international sind keinerlei Ermittlungen bezüglich der illegalen Verhaftung und Folterung von Rajesh bekannt geworden.

Bild 2 Rajesh (14) im Krankenhaus zur Behandlung der Folterfolgen © Kerala Civil Liberties Commettee

Andere werden hart dafür bestraft, arm zu sein. Ungefähr 50 Kinder, die in einem Kirchenportal schliefen, wurden im Juli 1993 in Brasilien beschossen. Acht starben, weitere Kinder wurden verwundet. Das Ausmaß des Massakers in Candelária lenkte die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Ermordung von Straßenkindern in Brasilien. Mehrere Polizisten wurden im Zusammenhang mit diesem Massaker angeklagt - eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen Mitglieder von Todesschwadronen zur Rechenschaft gezogen wurden. Allerdings deckten ihre Verfahren schwerwiegende Mängel bei den Ermittlungen im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen in Brasilien auf.

Bild 3 Kinderdemonstration in Rio de Janeiro gegen die Ermordung von Straßenkindern © AP

Die besondere Wehrlosigkeit von Mädchen und Frauen werden von denselben Kräften ausgenutzt, die sie eigentlich beschützen sollten. Die Polizei in Bangladesch nimmt häufig, während ihrer Ermittlungen in Vergewaltigungsfällen, junge Mädchen in "Schutzhaft”. Viele Mädchen werden dann während dieser "Schutzhaft" vergewaltigt und sexuell mißhandelt.

Yasmin Akhter aus Bangladesch war 14 Jahre alt, als sie im August 1995 von drei Polizisten vergewaltigt und ermordet wurde. Sie wurde von den Polizisten, die ihr angeboten hatten, sie auf dem Weg zum Haus ihrer Mutter in Dinajpur mitzunehmen, in deren Streifenwagen gelockt. Später ließen sie ihre Leiche am Straßenrand zurück. Die Polizei versuchte, das Verbrechen zu vertuschen, indem sie behauptete, bei Yasmin habe es sich um eine Prostituierte gehandelt, die beim Sprung aus dem fahrenden Polizeifahrzeug ums Leben gekommen sei. Die Polizisten wurden schließlich 1997 vor Gericht gestellt und für schuldig befunden.

Die Kinder politischer Gefangener können aufgrund der vermuteten politischen Aktivitäten ihrer Eltern ebenfalls der Gefahr illegaler Verhaftungen ausgesetzt sein. Sie werden gelegentlich als Geiseln festgehalten, um Druck auf ihre Angehörigen auszuüben, sich zu stellen, oder sie werden allein aufgrund der familiären Bande für schuldig gehalten.

Der 14-jährige Ali Mustafa Tubeh wurde im Oktober 1997 kurz nach der Verhaftung seines Vaters von Mitgliedern der israelischen Sicherheitskräfte festgenommen und in das Haftzentrum Khiam im Südlibanon eingeliefert. Diese Anstalt wird von der Südlibanesischen Armee, einer von Israel unterstützten Miliz, in Zusammenarbeit mit Israel geführt. Bis Juli 1998 war es der Familie nicht gestattet, ihn zu besuchen. Seiner Mutter war es möglich, ihn dreimal zu sehen, während sie selbst im Oktober und November 1997 in Khiam festgehalten wurde. Wie verlautet, erzählte ihr 'Ali Tubeh, er sei gefoltert worden, indem man ihn in einen mit Wasser gefüllten Behälter steckte, der an die Stromversorgung angeschlossen war. 'Ali Tubeh wird noch immer ohne Anklage in Khiam in einer Einzelzelle festgehalten, die er nur für zwei Stunden pro Tag verlassen darf. Man nimmt an, daß mehr als 100 libanesische Gefangene, darunter auch Kinder, ohne Anklage oder Verfahren in Khiam festgehalten werden. amnesty international glaubt, daß sie als Geiseln gehalten werden, um Informationen über den Verbleib von vermißten israelischen Soldaten zu erhalten. amnesty international hat wiederholt Berichte von ehemaligen Gefangenen des Khiam-Haftzentrums erhalten, denen zufolge Folter und Mißhandlungen dort an der Tagesordnung sind.

Bild 4 Ali Mustafa Tubeh © Privat


Kinderrechte

Die UN-Konvention der Rechte des Kindes legt die grundlegenden Prinzipien für die Behandlung von Kindern fest, einschließlich derer, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten.

Der von den Vereinten Nationen eingerichtete Ausschuß für die Rechte des Kindes hat die Aufgabe, zu überprüfen, ob die Vertragsstaaten ihre in der Konvention eingegangenen Verpflichtungen erfüllen. Der Ausschuß hat vier Grundprinzipien benannt, die der Kinderkonvention zugrundeliegen:

Der Ausschuß hat deutlich gemacht, wie weitreichend sein Verständnis vom Wohl des Kindes ist. Die Regierungen wurden aufgefordert, darüber zu informieren, wie sie das Wohl des Kindes in den Bereichen Familie, Schule und Freizeit berücksichtigen. Informiert werden soll auch über die Verteilung von Haushaltsmitteln, über Entwicklungs- und Planungsmaßnahmen, über Adoption, Immigration, über die soziale Sicherung und über die Rechtspflege im Bereich des Jugendstrafrechts.

Die Kinderkonvention knüpft an frühere Instrumentarien, wie den Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte, an. Deren Aussagen über die Rechte von Erwachsenen und Kindern, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, werden aufgegriffen und erweitert.

Die Kinderkonvention verbietet Folter und grausame, inhumane oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung. Sie verbietet die Bestrafung mit dem Tode oder mit lebenslänglicher Haft ohne die Möglichkeit vorzeitiger Begnadigung von Personen, die zur Tatzeit minderjährig waren.

Weiterhin verbietet sie ungesetzliche und willkürliche Inhaftierung. Sie besagt, daß Kinder nur dann ihrer Freiheit beraubt werden sollten, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden. Auch dann sollte dies nur für einen möglichst kurzen Zeitraum geschehen, sie sollten getrennt von Erwachsenen untergebracht werden und sie sollten das Recht haben, Kontakt zu ihren Familien und zu juristischem Beistand zu haben. Garantiert werden soll auch das Recht auf einen fairen Prozeß. Weiterhin verpflichtet die Kinderkonvention die Regierungen dazu, sich für Gesetze, Verfahrensweisen, Institutionen und Praktiken einzusetzen, die speziell auf Kinder anzuwenden sind; dazu können beispielsweise Alternativen zum Prozeßverfahren und Formen institutioneller Fürsorge gehören, soweit sie dem Wohl des Kindes dienen.

Andere internationale Vorschriften und Richtlinien bieten den Staaten Orientierung, wenn es darum geht, die Rechte von Kindern zu schützen, die in Konflikt mit dem Gesetz geraten sind. Hierzu zählen die UN-Richtlinien zur Prävention der Straffälligkeit von Jugendlichen (die Richtlinien von Riyadh) und die UN- Mindeststandards für die Rechtspflege im Bereich des Jugendstrafrechts (die Bestimmungen von Peking).


Internationale Prinzipien des Jugendstrafrechts

Die nachfolgenden Prinzipien stammen aus dem Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte, der Kinderkonvention, den Bestimmungen von Peking und den Richtlinien von Riyadh.


Eine Frage des Alters

Die Kinderkonvention kann auf alle Personen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres angewendet werden, sofern nicht "gemäß dem auf das Kind anzuwendenden Recht die Volljährigkeit früher erreicht wird". Das Mindestalter für die Strafmündigkeit - das ist das Alter, unterhalb dessen Kinder als zu jung erachtet werden, um für ihre eigenen Taten verantwortlich zu sein und angeklagt zu werden - variiert stark von einem Land zum anderen. Internationale Standards schreiben kein bestimmtes Alter vor, sie verpflichten aber die Regierungen dazu, die körperliche und geistige Reife der Kinder und ihr Bedürfnis nach besonderer Fürsorge bei der Festlegung des Mindestalters zu berücksichtigen. Der Ausschuß für die Rechte des Kindes hat seine Besorgnis über Altersgrenzen von nur sieben Jahren ausgedrückt. Der neue Internationale Strafgerichtshof wird nicht gegen Kinder unter 18 Jahren verhandeln.

In mindestens 33 Staaten der USA können Kinder, die als Erwachsene vor Gericht gestellt und verurteilt werden, zu Haft in Erwachsenengefängnissen verurteilt und zusammen mit erwachsenen Insassen untergebracht werden. Im September 1998 waren mehr als 4000 Kinder unter diesen Bedingungen inhaftiert. Ihr Wohlergehen gab ernsten Anlaß zur Besorgnis wegen ihrer extremen Wehrlosigkeit gegenüber körperlicher und sexueller Mißhandlung durch Erwachsene.


Unterlassener Schutz

Kinder sollten nur dann inhaftiert werden, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden und auch dann sollte dies nur für einen möglichst kurzen, angemessenen Zeitraum geschehen. Wenn Kinder inhaftiert werden, dann haben sie das Recht auf Kontakt mit ihren Familien, und sie haben das Recht, getrennt von Erwachsenen untergebracht und altersgemäß behandelt zu werden. Außerdem haben sie das Recht auf Freiheit vor grausamer, inhumaner und erniedrigender Behandlung oder Bestrafung.

In der Realität werden entscheidende Schutzmaßnahmen, die die Mißhandlung von Kindern in der Haft verhindern sollen, regelmäßig mißachtet. Kinder werden ohne Anklage oder Prozeß festgehalten, ihnen wird der Zugang zu Anwälten und zu ihren Familienangehörigen verweigert, und sie werden gefoltert und mißhandelt, um Geständnisse von ihnen zu erhalten. Wo Kinder außerhalb jeglichen legalen Rahmens und ohne Zugang zu Verwandten oder juristischer Beratung festgehalten werden, erhöht sich das Risiko körperlicher Mißhandlungen dramatisch.

Die 16-jährige Luiris Elena Flores war im dritten Monat schwanger, als sie im März 1996 in Bundesstaat Miranda in Venezuela festgenommen wurde. Sie wurde für mehrere Stunden von ihrer Familie getrennt, während derer sie von der Polizei verhört wurde, die sie, wie verlautet, schlug und ihr drohte, sie zu zwingen, einen Raub zu gestehen. Drei Tage nach ihrer Festnahme erlitt Luiris Elena Flores eine Fehlgeburt. Soweit amnesty international weiß, sind keinerlei Untersuchungen durchgeführt worden, um ihre Vorwürfe wegen Folter und Mißhandlung zu überprüfen.

Da Mädchen im Verhältnis weit weniger häufig mit dem Gesetz in Konflikt kommen als Jungen, werden sie selten entsprechend ihrer geschlechtsspezifischen Bedürfnisse behandelt. Beispielsweise scheinen die Behörden in vielen Ländern den Sachverhalt, daß die Anzahl der weiblichen Straftäter verhältnismäßig gering ist, als eine Rechtfertigung dafür zu benutzen, keine angemessenen Verwahrungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Als Folge davon ist es für Mädchen wahrscheinlicher, in größerer Entfernung von ihren Familien und zusammen mit Jungen oder Erwachsenen untergebracht zu werden, was sie der Gefahr sexueller Mißhandlungen und sogar Vergewaltigungen aussetzt.


Verbotene Strafen: z. Bsp. Todesstrafe

Internationale Standards legen fest, daß Kinder, die einer Straftat für schuldig befunden worden sind, nur dann inhaftiert werden sollen, wenn alle anderen Maßnahmen ausgeschöpft sind. Es gibt zunehmend eindrucksvolles Beweismaterial, das belegt, daß alternative Formen der Bestrafung viel wahrscheinlicher zu einer Rehabilitation des Kindes führen - eines der Hauptziele der Jugendgerichtsbarkeit. Alternativen zur Haftstrafe können Führungs- und Überwachungsauflagen, pflegerische Fürsorge, Bewährungsauflagen, Beratung und Täter-Opfer-Ausgleichsprogramme sein. In Südafrika beispielsweise wurden Initiativen ergriffen, im Jugendstrafrecht internationale Standards und traditionelle Methoden der Konfliktlösung miteinander zu kombinieren.

Personen für Verbrechen zum Tode zu verurteilen, die begangen wurden, bevor sie das 18. Lebensjahr vollendet hatten, ist nach internationalem Recht verboten. Trotzdem sind in den 90er-Jahren Hinrichtungen jugendlicher Straftäter im Iran, in Nigeria, Pakistan, Saudi-Arabien, in den USA und im Jemen bekannt geworden.

In den USA warten derzeit 65 Personen auf ihre Hinrichtung wegen Verbrechen, die sie begingen, als sie unter 18 Jahren alt waren. Viele von ihnen leiden an geistigen Behinderungen, sind Opfer sozialer und ökonomischer Deprivation, und haben in der Kindheit seelische und körperliche Mißhandlungen erlitten. Robert Carter und Joseph Cannon wurden Mitte 1998 in Texas für Verbrechen hingerichtet, die sie begingen, als sie 17 Jahre alt waren. Beide waren als Kinder schwer mißhandelt worden. Beide litten unter Gehirnschäden.

Obligatorische Strafen können nicht die spezifischen Umstände des Kindes berücksichtigen, was eine Anpassung der Bestrafung zur Förderung des Kindes unmöglich macht. Daher verstoßen sie gegen das Grundprinzip, nach dem alle Entscheidungen, die Kinder betreffen, am Wohl des Kindes orientiert sein sollten. Auch die Verurteilung von Kindern zu lebenslangen Haftstrafen ohne die Möglichkeit einer vorzeitigen Begnadigung - eine Verweigerung jeglicher Möglichkeit von Rehabilitation und Reintegration - ist nach internationalem Recht ebenfalls explizit verboten.

Körperliche Bestrafung wird vom internationalen Recht verboten, ebenso wie alle anderen Formen grausamer, inhumaner und erniedrigender Behandlung oder Bestrafung. In internationalen Instrumentarien, die speziell Kinder betreffen, wird sie explizit ausgeschlossen, und der Ausschuß für die Rechte des Kindes hat zu ihrer Abschaffung aufgerufen. Trotzdem werden solche Strafen weiterhin von der Gerichtsbarkeit in Ländern wie Pakistan und Zimbabwe verhängt.

Haftbedingungen, die für Erwachsene unerträglich sind, können eine noch schwerwiegendere Bedrohung für die Gesundheit von Kindern darstellen. Als eine Delegation von amnesty international Ende 1996 das Zentralgefängnis von Zomba in Malawi besuchte, lebten dort 179 Jungen, einige erst 12 Jahre alt, in überfüllten Zellen und unter unhygienischen Bedingungen. Verstopfte Toiletten im Freien flossen von Exkrementen über und die Wasserversorgung bestand aus einem einzigen Wasserhahn. Die Kinder litten unter Krätze und waren von Läusen und Flöhen befallen.

Bild 5 Die Jugendabteilung des Zentralgefängnisses in Zomba, Malawi © Penal Reform International


Gerechtigkeit - das Recht jeden Kindes

Das "Wohl des Kindes" muß das leitende Prinzip hinter allen Verfahren und innerhalb der Gerichtsbarkeit sein, sobald Kinder davon betroffen sind. Ihr vorrangiges Ziel muß es sein, die fundamentalen Rechte der Kinder zu schützen und zu fördern, und jungen Menschen, die einer Straftat schuldig befunden wurden, die größtmögliche Chance auf eine gesellschaftliche Reintegration zu geben.

Jugendkriminalität hat spezifische Ursachen. Diese Ursachen durch sozialpolitische Maßnahmen anzugehen, noch bevor Kinder mit dem Gesetz in Konflikt kommen, dient sicherlich dem Wohl des Kindes, und es ist tatsächlich auch im Interesse der Gesamtgesellschaft. Die Prinzipien des Jugendstrafrechts betonen daher die Bedeutung von Präventivmaßnahmen. Dazu gehören die Linderung der sozialen und ökonomischen Ausgrenzung von Kindern, die Bereitstellung von Ausbildungsmöglichkeiten und die Beendigung von Diskriminierung aufgrund der Rasse oder des Geschlechts.

Die Rechte von Kindern in Gewahrsam und vor dem Gesetz sind unauflösbar und unteilbar mit anderen in der Kinderkonvention dargelegten Grundrechten verknüpft. Dies sind, unter anderen, das Recht auf Bildung, das Recht auf höchste Standards im Bereich Gesundheit und Fürsorge, und das Recht auf Schutz vor Mißhandlung und Ausbeutung. Jeder sinnvolle Versuch einer Prävention von Jugendkriminalität muß die Förderung und den Schutz aller Rechte aller Kinder einschließen.

amnesty international glaubt, daß zur Erreichung dieser Ziele eine separate Gerichtsbarkeit für das Jugendstrafrecht notwendig ist, die an die besonderen Bedürfnisse von Kindern und Heranwachsenden angepaßt ist und die deren fundamentale Rechte respektiert, so wie sie in der Kinderkonvention dargelegt sind.

Ein solches System muß die folgenden Punkte einschließen:

Internationale Standards für die Behandlung und den Schutz von Jugendlichen in den Händen der Justiz und für die Rechtspflege innerhalb des Jugendstrafrechts sind klar und eindeutig. Trotzdem werden diese in großem Umfang mißachtet.

Letzten Endes reflektiert dies einen Mangel an politischem Willen auf Seiten der Regierungen, der notwendig wäre, um die internationalen Standards in die nationale Gesetzgebung, Politik und Praxis zu integrieren. Es ist absolut unerläßlich, daß nationale und internationale Nicht- Regierungsorganisationen und die UN-Gremien damit fortfahren, den Zustand der Jugendgerichtsbarkeit zu überwachen und Druck auf die Regierungen auszuüben, damit diese internationale Standards im Jugendstrafrechts fördern und durchsetzen.


Empfehlungen von Amnesty International an die Regierungen für eine auf den Menschenrechten basierende Jugendgerichtsbarkeit

  1. Es soll sichergestellt werden, daß Kinder einer separaten Jugendgerichtsbarkeit überstellt werden, die auf den fundamentalen Prinzipien der Kinderkonvention basiert, und in einer Weise behandelt werden, die ihren Sinn von Würde und Wert fördert und ihnen bei der Integration in die Gesellschaft hilft.
  2. Es soll sichergestellt werden, daß die weltweite Ächtung der Todesstrafe für Straftaten, die begangen wurden bevor der Angeklagte das 18. Lebensjahr vollendet hatte, durchgesetzt wird.
  3. Kinder sollen vor grausamer, inhumaner oder erniedrigender Bestrafung, wozu auch körperliche Bestrafung und Einzelhaft gehören, geschützt werden.
  4. Es soll sichergestellt werden, daß Kinder nur nach Ausschöpfung aller anderen Maßnahmen inhaftiert werden und daß dies nur für einen möglichst kurzen Zeitraum geschieht. Auch sollen Maßnahmen entwickelt werden, die keine Verwahrung beinhalten, und die auf eine Rehabilitation der jugendlichen Straftäter abzielen
  5. Es soll sichergestellt werden, daß jedes inhaftierte Kind ohne Verzögerung einer Justizbehörde überstellt wird und unmittelbaren Zugang zu Verwandten, zu Rechtsbeistand und medizinischer Versorgung gewährt bekommt. Verwandte oder Vormünder sollten unmittelbar über den Aufenthaltsort des Kindes informiert werden.
  6. Kinder sollen in der Haft vor Folter und Mißhandlung geschützt werden; dazu gehört auch der Schutz vor Vergewaltigung und sexueller Mißhandlung, sei es durch Vollzugsbedienstete oder durch andere Gefangene.
  7. Es sollen spezielle Schutzmaßnahmen für Mädchen in Polizei- oder Gefängnisverwahrung ergriffen werden.
  8. Es sollen unabhängige Mechanismen für die Überwachung von Jugendstrafanstalten entwickelt werden.
  9. Es soll sichergestellt werden, daß alles Personal, das in der Rechtspflege im Bereich des Jugendstrafrechts tätig ist, ein besonderes Training in internationalen Standards, Kinderrechten und Prinzipien der kindlichen Entwicklung erhält.
  10. Internationale Standards, die für die Jugendjustiz relevant sind, sollen ratifiziert, implementiert und gefördert werde.

Branko Stahl ist Mitglied der Koordinationsgruppe der deutschen Sektion von amnesty international zu Menschenrechtsverletzungen an Kindern und Jugendlichen.


Quelle: amnesty international - 20. November 1998

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